Tabu

Auf der halben Strecke zwischen München und Salzburg, etwas abseits der großen Straßen, liegt das Dorf Eschburg. Von der Burg, die dem Dorf seinen Namen gegeben hatte, gab es oben auf dem Hügel nur noch ein paar Steine.
Entwicklungsroman oder Justizdrama? So ganz lässt sich das bei Ferdinand von Schirachs Roman nicht entscheiden. Er ist beides - aber erst das eine und dann das andere.

Anfangs ist die Hauptfigur Eschburg ein klassischer introvertierter Romanheld. Zum einen in sich gekehrt, so dass er sich durchaus mal mit Odysseus, Herkules oder Tom Sawyer unterhält. Zum anderen Synästhetiker, wodurch er in Bildern und Farben denkt. Eschburgs Mutter ist lieblos und verbringt mehr Zeit mit ihren Pferden als mit ihrem Sohn. Sein Vater begeht Selbstmord. So eröffnet sich dem Leser eine Welt unglücklicher Erwachsener, in die Eschburg hineinwächst und auf die er reagiert, indem er sich selbst verletzt. Blut ist von da ab das Leitmotiv.
Du bist nie ganz da … Es ist immer nur ein Teil von dir da, aber ein anderer Teil ist nicht da.
Möchte man Schirach als Stilist einordnen, wie es ein Zitat der New York Times auf dem Buchrücken tut, so muss man Kleinigkeiten anbringen, die aber durchaus ihre Wirkung haben. Zum Beispiel, wenn Schirach den Helden erst mit Vornamen, nach seinem Schulabschluss und Auszug dann aber konsequent mit seinem Familiennamen nennt. Die Einteilung des Buches in Farben nach Helmholtz´ Farbenlehre dagegen wirkt aufgesetzt.
Insgesamt macht der Autor zu wenig aus seiner Figur. Zwar werden ständig Wahrnehmungen und Phänomene der Personen benannt - mit Eschburgs synästhetischer Auffassung kommt man als Leser dennoch nicht wirklich in Berührung.

Ist Eschburg in der Mitte des Romans ein angesehener Fotograf und Künstler, so im letzten Drittel ein Angeklagter des Mordes. Hier spielt er allerdings nicht mehr wirklich die Hauptrolle, sondern Biegler, sein Verteidiger, der ebenfalls von der Einsamkeit des Menschen überzeugt ist. Es ist der Punkt, an dem der Roman sein Gesicht ändert. Plötzlich geht es vor allem um die Frage, ob Foltern in Ausnahmesituationen erlaubt ist und warum die Würde des Menschen unantastbar ist.
Die Wahrheit ist hässlich, sie riecht nach Blut und Kot.
Der Roman, der seinem Thema angemessen - nämlich der Einsamkeit des Menschen und der ernüchternden (blutigen) Wahrheit der Welt - in kurzen, schlichten Sätzen gehalten ist, flacht hier weiter ab. Schnell stellt sich der Vergleich mit einem Tatort ein. Ähnlich wie beim Fernsehen lässt man den Krimi einfach über sich ergehen und ergötzt sich an den Details - was für ein Glück, dass der Autor nicht vergisst zu erwähnen, dass am mutmaßlichen Tatort Sadomaso-Spielzeug gefunden wurde!
Es scheint, als habe Ferdinand von Schirach es verpasst, ein tiefgründiges Thema und einen tiefsinnigen Charakter bis zum Äußersten und bis zum Schluss literarisch zu bearbeiten. Als wollte er unbedingt und sowieso auf eine Justizgeschichte hinaus ...

Rezension von Dominik Prandl

Tabu

256 Seiten, € 10,00, Taschenbuch
btb, ISBN 978-3442714988

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Tabu

Auf der halben Strecke zwischen München und Salzburg, etwas abseits der großen Straßen, liegt das Dorf Eschburg. Von der Burg, die dem Dorf seinen Namen gegeben hatte, gab es oben auf dem Hügel nur noch ein paar Steine.
Entwicklungsroman oder Justizdrama? So ganz lässt sich das bei Ferdinand von Schirachs Roman nicht entscheiden. Er ist beides - aber erst das eine und dann das andere.

Anfangs ist die Hauptfigur Eschburg ein klassischer introvertierter Romanheld. Zum einen in sich gekehrt, so dass er sich durchaus mal mit Odysseus, Herkules oder Tom Sawyer unterhält. Zum anderen Synästhetiker, wodurch er in Bildern und Farben denkt. Eschburgs Mutter ist lieblos und verbringt mehr Zeit mit ihren Pferden als mit ihrem Sohn. Sein Vater begeht Selbstmord. So eröffnet sich dem Leser eine Welt unglücklicher Erwachsener, in die Eschburg hineinwächst und auf die er reagiert, indem er sich selbst verletzt. Blut ist von da ab das Leitmotiv.
Du bist nie ganz da … Es ist immer nur ein Teil von dir da, aber ein anderer Teil ist nicht da.
Möchte man Schirach als Stilist einordnen, wie es ein Zitat der New York Times auf dem Buchrücken tut, so muss man Kleinigkeiten anbringen, die aber durchaus ihre Wirkung haben. Zum Beispiel, wenn Schirach den Helden erst mit Vornamen, nach seinem Schulabschluss und Auszug dann aber konsequent mit seinem Familiennamen nennt. Die Einteilung des Buches in Farben nach Helmholtz´ Farbenlehre dagegen wirkt aufgesetzt.
Insgesamt macht der Autor zu wenig aus seiner Figur. Zwar werden ständig Wahrnehmungen und Phänomene der Personen benannt - mit Eschburgs synästhetischer Auffassung kommt man als Leser dennoch nicht wirklich in Berührung.

Ist Eschburg in der Mitte des Romans ein angesehener Fotograf und Künstler, so im letzten Drittel ein Angeklagter des Mordes. Hier spielt er allerdings nicht mehr wirklich die Hauptrolle, sondern Biegler, sein Verteidiger, der ebenfalls von der Einsamkeit des Menschen überzeugt ist. Es ist der Punkt, an dem der Roman sein Gesicht ändert. Plötzlich geht es vor allem um die Frage, ob Foltern in Ausnahmesituationen erlaubt ist und warum die Würde des Menschen unantastbar ist.
Die Wahrheit ist hässlich, sie riecht nach Blut und Kot.
Der Roman, der seinem Thema angemessen - nämlich der Einsamkeit des Menschen und der ernüchternden (blutigen) Wahrheit der Welt - in kurzen, schlichten Sätzen gehalten ist, flacht hier weiter ab. Schnell stellt sich der Vergleich mit einem Tatort ein. Ähnlich wie beim Fernsehen lässt man den Krimi einfach über sich ergehen und ergötzt sich an den Details - was für ein Glück, dass der Autor nicht vergisst zu erwähnen, dass am mutmaßlichen Tatort Sadomaso-Spielzeug gefunden wurde!
Es scheint, als habe Ferdinand von Schirach es verpasst, ein tiefgründiges Thema und einen tiefsinnigen Charakter bis zum Äußersten und bis zum Schluss literarisch zu bearbeiten. Als wollte er unbedingt und sowieso auf eine Justizgeschichte hinaus ...

Rezension von Dominik Prandl

Tabu

256 Seiten, € 10,00, Taschenbuch
btb, ISBN 978-3442714988

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Rezensiert von Gast