Siebzehn Silben Ewigkeit

Die Rue des Hêtres war vor allem mit Ahornbäumen bepflanzt. In zwei Reihen standen drei- und vierstöckige Wohnblöcke, zu deren oberen Stockwerken man über Außentreppen gelangte.
Bilodo ist Briefträger. Er ist 27, ein Einzelgänger, äußerst genügsam. Abends metzelt er ein paar Monster am Computer nieder, ernährt sich von Fertiggerichten und frönt einem heiklen und auch ein wenig perversen Hobby: Über Wasserdampf öffnet er fremde Briefe und verfolgt als stiller Mitleser die Korrespondenz anderer Menschen. Am nächsten Morgen stellt er die Briefe pflichtbewusst zu, als sei nie etwas gewesen.
Zwischen all den fremden Wörtern stößt er auf die Unterhaltung zwischen Grandpré, einem Professor für japanische Literatur, und Ségolène. Die beiden schicken sich gegenseitig Haikus zu, und Bilodo verliebt sich Hals über Kopf in die fremde Frau. Als ihr Briefpartner eines Tages ums Leben kommt, bedeutet das auch für Bilodo das Ende, denn durch Granprés Tod scheint auch seine einzige Verbindung zu Ségolène nun unumkehrbar gerissen. Und so fasst Bilodo einen waghalsigen Plan: Er mietet sich in der Wohnung des Verstorbenen ein, nimmt sozusagen dessen Identität an und schlüpft in Grandprés Rolle, um mit Ségolène weiter in Kontakt zu bleiben. Allerdings ist das – wer hätt's gedacht – nicht ganz so einfach, wie er sich das vorgestellt hatte.

Was am Anfang recht verheißungsvoll beginnt, verpufft leider schnell in einer großen Wolke von Gefühlduselei und Kitsch. Der Plot rund um das geheime Laster des Postboten wirkt allzu konstruiert und an vielen Stellen sehr an den Haaren herbeigezogen. Bilodo selbst ist ein sterbenslangweiliger Zeitgenosse, dem es neben sozialen Kontakten auch und ganz besonders an einem fehlt: Reife. Als sein bester Freund Robert nach einem heftigen Streit beginnt, sich durch kleine Seitenhiebe an Bilodo zu rächen, stürzt die Geschichte in einen tiefen Abgrund zwischen Kindergarten und GZSZ-Pseudo-Problemchen. Das Ganze wirkt leider völlig lächerlich.
Auch die Sprache kann dieser Sandkastendramaturgie nichts Wirksames entgegensetzen. Nett und flott erzählt ist das alles zwar, aber manchmal auch zu trivial. Die wenigen Bilder, die Thériault bemüht, sind alt und richten nichts mehr aus. Und auch Bilodo selbst bleibt, obwohl er sich immer wieder Gedanken zu diesem und jenem macht, bis zum Ende hin mehr ein Gespenst als eine Hauptfigur.
Insgesamt ist »Siebzehn Silben Ewigkeit« ein Roman mit starken Schwachstellen. Ein bisschen französisches Kleine-Außenseiter-Flair als Anstrich einer eher mittelmäßigen Geschichte rettet einen Roman noch lange nicht vor der Gefälligkeit.

Siebzehn Silben Ewigkeit

160 Seiten, € 13,90, broschiert / kartoniert
dtv, ISBN 978-3423247436
aus dem Französischen von Saskia Bontjes van Beek

→ Leseprobe
Rezensiert von Alexander Schau