Es geht immer nur um Sex

Wenn Alkohol und Schlafmangel ihren Tribut fordern, wenn der Geruch von tausend schwitzenden Körpern und die Schmerzen in den eigenen blutig getanzten Füßen sich zu einer einzigen triumphalen Erschöpfung zusammenfügen, überwinden die Menschen die Angst vor ihrer Existenz. Taubgehämmert von der Musik und bis auf das gleißende Zucken der Stroboskop-Blitze allen Lichtes beraubt wird man auf sich selbst zurück geworfen, die sinnliche Verankerung in der anerzogenen Wirklichkeit ist verloren, das Leben herrscht.
Das Romandebüt des jungen Autors Lucas Fassnacht ist ein Buch der Extreme. In jeglicher Hinsicht. An allen Ecken und Kanten strebt es auseinander und auch im Leser löst es einiges an Gefühlen aus, vor allem entgegengesetzte. Bereits auf dem Cover prangt der berechnende Titel »Es geht immer nur um Sex«, untermalt von eindeutig sexuell wirkenden Spargelspitzen. Die Gestaltung als auch die Wahl des Titels sind wohl hauptsächlich dem Verlag periplaneta zuzuschreiben. Ein bisschen zu offensichtlich ist hier der Zweck. Sex sells, das wissen wir alle. Eines möchte ich an dieser Stelle gern vorweg nehmen: Die Äußerlichkeit des Buches wird seinem Inhalt nicht gerecht, der Verlag sollte mehr auf das Talent seines Autors setzen, nicht auf ausgelutschte Werbemechanismen.

Die Geschichte an sich handelt von einem Mann mit Namen Marius, der auf den ersten Blick sehr an Barney Stinson aus der Kultserie »How I met yor mother« erinnert. Allerdings wird eines ziemlich schnell klar: Marius ist in jeglicher Hinsicht unsympathisch. Ein mutiger Zug, es ist immer schwer mit einem unbeliebten Protagonisten zu punkten. Marius schläft gern mit Frauen; aus welchem Grund, schildert er im ersten Absatz: Er will Spaß. Im Laufe der Handlung jedoch erscheint die Hauptperson mehr und mehr als ein Mensch, welcher in keinster Weise fähig ist, Spaß zu empfinden. Also bleibt eine große Frage: Was treibt ihn an? Emotionslosigkeit? Wahrhaftigkeit? Marius gibt einem Rätsel auf, was unweigerlich zu dem Schluss führt: Lucas Fassnacht gibt einem Rätsel auf. Aber wohin will er uns lenken?
Das Umfeld, in dem sich Marius bewegt, ist gleichermaßen deprimierend wie normal. Menschen, welche die klassischen Werte mehr oder weniger leben, die sich mehr oder weniger zurecht finden, mehr oder weniger menschlich sind. Also die Vermutung: Marius appelliert mit seiner bloßen Existenz an die falsche Moralität unserer Gesellschaft. Er scheint, wie Nietzsche, eine Umwertung aller Werte zu fordern. Doch dann bleibt offen, wieso der Protagonist selbst so inkonsequent ist. All sein Handeln verurteilt die herrschenden Moralvorstellungen, aber so richtig bewusst scheint ihm das selbst nicht zu sein. Zu wenig wird uns offenbart. Marius ist ein Ausschnitt-Charakter, ein Klischee, zu wenig Rückblenden lassen ihn eindimensional erscheinen. Wer ist dieser Mensch und wie ist er so geworden?

An einigen Sätzen des Romans bleibt man unweigerlich hängen. Obwohl nicht so ganz klar ist, wohin uns der Autor im Laufe der Geschichte führen will, wird eines ganz deutlich: Nicht nur Marius, scheinbar alle Charaktere des Buches sind Studien. Beobachtungen menschlichen Verhaltens. Und wie jeder Beobachter nicht alle Geschehnisse, deren Zeuge er ist, komplett durchleuchten kann, so nimmt sich auch der Autor an dieser Stelle zurück, lässt vieles unaufgeklärt.
Vielleicht mache die Fähigkeit zur Liebe den Menschen groß, nicht das Lieben selbst.
Fassnacht beweist literarisches Talent (siehe auch: »Ottonormalverbraucht«), und, dass er sich Gedanken macht. Ziemlich gute sogar.
Die legt er dann zum Beispiel dem besten Freund des Hauptdarstellers in den Mund. Deren unfruchtbares und dennoch entscheidendes Engelchen-Teufelchen-Verhältnis gibt dem Leser aber ebenfalls ein Puzzleteil zu viel in die Hand.
Jünger sein heißt länger sterben.
Es bleibt das Gefühl, dass selbst Fassnacht die Gründe für Marius' Handeln nicht ganz begreift, als ob er einem gewissen Zauber erlegen wäre. Spannend ist Marius nämlich in jedem Fall. Man kann allerdings ein bisschen wütend werden. Der Autor ist schließlich der Einzige, der den Leser aus der Unwissenheit befreien könnte. Aber diesen Gefallen tut er uns nicht. Erkenntnisse gibt es einige, aber keine allgemeingültigen Wahrheiten. Keinen Sinn des Lebens. Zum Glück.
Vielleicht sei es unmöglich, die Schönheit der Welt zu erkennen, ohne an ihrer Hässlichkeit zu Grunde zu gehen.
Wer sich von dem Roman eine runde Sache verspricht, wird enttäuscht werden. Wer bereit ist, sich ein schonungsloses Gemälde unseres Mensch-Seins anzusehen, wird es auch. Aber nicht von Lucas Fassnacht oder Marius, sondern von der Erkenntnis, dass wir alle irgendwie nicht besser sind als der Protagonist. Aber es im Gegensatz zu Marius sein wollen.
Da entkommt jemand irgendeiner AIDS- und kriegsverseuchten Wüste, wird gefeiert von seinen ursprünglichen Unterdrückern – und sein fußballerisches Scheitern löst mehr Mitgefühl aus, als es ein afrikanisches Straßenkind je könnte.
Andere haben sich der Herausforderung einer Buchbesprechung gestellt. Jede geht auf ihre Weise, wie das Buch, ins Extreme. Ich denke, dieser Roman stößt sich an den Kanten der Wirklichkeit. Und wir stoßen uns an ihm. Ein aufrichtiges Verhältnis.

Rezension von Eva Sander

Es geht immer nur um Sex

248 Seiten, € 13,00, broschiert / kartoniert
periplaneta, ISBN 978-3943876543

Es geht immer nur um Sex

Wenn Alkohol und Schlafmangel ihren Tribut fordern, wenn der Geruch von tausend schwitzenden Körpern und die Schmerzen in den eigenen blutig getanzten Füßen sich zu einer einzigen triumphalen Erschöpfung zusammenfügen, überwinden die Menschen die Angst vor ihrer Existenz. Taubgehämmert von der Musik und bis auf das gleißende Zucken der Stroboskop-Blitze allen Lichtes beraubt wird man auf sich selbst zurück geworfen, die sinnliche Verankerung in der anerzogenen Wirklichkeit ist verloren, das Leben herrscht.
Das Romandebüt des jungen Autors Lucas Fassnacht ist ein Buch der Extreme. In jeglicher Hinsicht. An allen Ecken und Kanten strebt es auseinander und auch im Leser löst es einiges an Gefühlen aus, vor allem entgegengesetzte. Bereits auf dem Cover prangt der berechnende Titel »Es geht immer nur um Sex«, untermalt von eindeutig sexuell wirkenden Spargelspitzen. Die Gestaltung als auch die Wahl des Titels sind wohl hauptsächlich dem Verlag periplaneta zuzuschreiben. Ein bisschen zu offensichtlich ist hier der Zweck. Sex sells, das wissen wir alle. Eines möchte ich an dieser Stelle gern vorweg nehmen: Die Äußerlichkeit des Buches wird seinem Inhalt nicht gerecht, der Verlag sollte mehr auf das Talent seines Autors setzen, nicht auf ausgelutschte Werbemechanismen.

Die Geschichte an sich handelt von einem Mann mit Namen Marius, der auf den ersten Blick sehr an Barney Stinson aus der Kultserie »How I met yor mother« erinnert. Allerdings wird eines ziemlich schnell klar: Marius ist in jeglicher Hinsicht unsympathisch. Ein mutiger Zug, es ist immer schwer mit einem unbeliebten Protagonisten zu punkten. Marius schläft gern mit Frauen; aus welchem Grund, schildert er im ersten Absatz: Er will Spaß. Im Laufe der Handlung jedoch erscheint die Hauptperson mehr und mehr als ein Mensch, welcher in keinster Weise fähig ist, Spaß zu empfinden. Also bleibt eine große Frage: Was treibt ihn an? Emotionslosigkeit? Wahrhaftigkeit? Marius gibt einem Rätsel auf, was unweigerlich zu dem Schluss führt: Lucas Fassnacht gibt einem Rätsel auf. Aber wohin will er uns lenken?
Das Umfeld, in dem sich Marius bewegt, ist gleichermaßen deprimierend wie normal. Menschen, welche die klassischen Werte mehr oder weniger leben, die sich mehr oder weniger zurecht finden, mehr oder weniger menschlich sind. Also die Vermutung: Marius appelliert mit seiner bloßen Existenz an die falsche Moralität unserer Gesellschaft. Er scheint, wie Nietzsche, eine Umwertung aller Werte zu fordern. Doch dann bleibt offen, wieso der Protagonist selbst so inkonsequent ist. All sein Handeln verurteilt die herrschenden Moralvorstellungen, aber so richtig bewusst scheint ihm das selbst nicht zu sein. Zu wenig wird uns offenbart. Marius ist ein Ausschnitt-Charakter, ein Klischee, zu wenig Rückblenden lassen ihn eindimensional erscheinen. Wer ist dieser Mensch und wie ist er so geworden?

An einigen Sätzen des Romans bleibt man unweigerlich hängen. Obwohl nicht so ganz klar ist, wohin uns der Autor im Laufe der Geschichte führen will, wird eines ganz deutlich: Nicht nur Marius, scheinbar alle Charaktere des Buches sind Studien. Beobachtungen menschlichen Verhaltens. Und wie jeder Beobachter nicht alle Geschehnisse, deren Zeuge er ist, komplett durchleuchten kann, so nimmt sich auch der Autor an dieser Stelle zurück, lässt vieles unaufgeklärt.
Vielleicht mache die Fähigkeit zur Liebe den Menschen groß, nicht das Lieben selbst.
Fassnacht beweist literarisches Talent (siehe auch: »Ottonormalverbraucht«), und, dass er sich Gedanken macht. Ziemlich gute sogar.
Die legt er dann zum Beispiel dem besten Freund des Hauptdarstellers in den Mund. Deren unfruchtbares und dennoch entscheidendes Engelchen-Teufelchen-Verhältnis gibt dem Leser aber ebenfalls ein Puzzleteil zu viel in die Hand.
Jünger sein heißt länger sterben.
Es bleibt das Gefühl, dass selbst Fassnacht die Gründe für Marius' Handeln nicht ganz begreift, als ob er einem gewissen Zauber erlegen wäre. Spannend ist Marius nämlich in jedem Fall. Man kann allerdings ein bisschen wütend werden. Der Autor ist schließlich der Einzige, der den Leser aus der Unwissenheit befreien könnte. Aber diesen Gefallen tut er uns nicht. Erkenntnisse gibt es einige, aber keine allgemeingültigen Wahrheiten. Keinen Sinn des Lebens. Zum Glück.
Vielleicht sei es unmöglich, die Schönheit der Welt zu erkennen, ohne an ihrer Hässlichkeit zu Grunde zu gehen.
Wer sich von dem Roman eine runde Sache verspricht, wird enttäuscht werden. Wer bereit ist, sich ein schonungsloses Gemälde unseres Mensch-Seins anzusehen, wird es auch. Aber nicht von Lucas Fassnacht oder Marius, sondern von der Erkenntnis, dass wir alle irgendwie nicht besser sind als der Protagonist. Aber es im Gegensatz zu Marius sein wollen.
Da entkommt jemand irgendeiner AIDS- und kriegsverseuchten Wüste, wird gefeiert von seinen ursprünglichen Unterdrückern – und sein fußballerisches Scheitern löst mehr Mitgefühl aus, als es ein afrikanisches Straßenkind je könnte.
Andere haben sich der Herausforderung einer Buchbesprechung gestellt. Jede geht auf ihre Weise, wie das Buch, ins Extreme. Ich denke, dieser Roman stößt sich an den Kanten der Wirklichkeit. Und wir stoßen uns an ihm. Ein aufrichtiges Verhältnis.

Rezension von Eva Sander

Es geht immer nur um Sex

248 Seiten, € 13,00, broschiert / kartoniert
periplaneta, ISBN 978-3943876543

Rezensiert von Gast