Die schmutzigen Hände

Ihr aber, ihr intellektuellen und bürgerlichen Anarchisten, nehmt das zum Vorwand, nichts zu tun. Nichts zu tun, euch nicht von der Stelle zu rühren, die Arme hängen zu lassen und Handschuhe zu tragen. Ich habe schmutzige Hände. Glaubst du, man kann unschuldig herrschen?
Die Hände des Menschen sind das Werkzeug, dass die Ideen des Geistes fassbar werden lässt. Wir schmieden Pläne und verfolgen Ziele zuallererst im Kopf, doch ohne unsere Hände, würde kaum einer von ihnen Realität. Somit dienen sie auch als Sinnbild für unsere Taten, die gelungenen, die, die fehlschlugen. In Die schmutzigen Hände greift Sartre diese Thematik auf, verknüpft unsere Verpflichtung zu Handeln mit der leitenden Frage nach unseren Motiven und Moralvorstellungen. Eine rasanten Geschichte zieht die Lesenden schon auf den ersten Seiten tief in das Dilemma der Figuren, die es niemals so leicht hätten, als das sie sich nur zwischen zwei Wegen zu entscheiden bräuchten. Was Sartres Dramen auszeichnet, sind die zur absoluten Freiheit gezwungenen Personen, deren Entscheidungen keinen Anfang und kein Ende haben. Leben heißt wählen – jeder Moment ist eine ungestellte Frage an unsere Idee vom Mensch sein.
Wenn man dich hört, könnte man meinen, jede Meinung sei gleich viel wert, man würde sie sich wie eine Krankheit holen.
Die Protagonisten emanzipieren sich. Hugo befreit sich von Schuld, ohne seine Tat zu bereuen. Hoederer befreit sich vom Tod, ohne am Leben zu bleiben. Und Jessica erkennt, dass sie eine Wahl hat, auch wenn sie sich weigert, eine Entscheidung zu treffen.
Wer ist Schuld daran? Warum hat man mir nichts beigebracht? Warum hast du mir nichts erklärt? Du hast gehört, was er gesagt hat? Ich sei dein Luxus? Jetzt sind es neunzehn Jahre, dass man mich in eure Männerwelt gesetzt hat, mit dem Verbot, die Ausstellungsgegenstände zu berühren, und ihr habt mir eingeredet, dass alles zum besten steht, dass ich mich um nichts anderes zu kümmern brauchte, als Blumen in Vasen zu stecken. Warum habt ihr mich belogen? Warum habt ihr mich in Unwissenheit gelassen, nur um mir eines schönen Tages einzugestehen, dass diese Welt an allen Ecken und Enden zusammen brechen würde und dass ihr Versager seid, und um mich zur Wahl zwischen Selbstmord und Mord zu zwingen? Ich will nicht wählen: ich will nicht, dass du dich umbringen willst, ich will nicht, dass du ihn umbringst. Warum hat man mir diese Last aufgebürdet? Ich habe von euren ganzen Geschichten keine Ahnung und wasche meine Hände in Unschuld. Ich bin weder ein Unterdrücker noch ein Sozialverräter, noch ein Revolutionär, ich habe nichts getan, ich bin an allem unschuldig.
Wer Sartre nicht kennt, hat zwei ineinander greifenden Möglichkeiten, ihm zu begegnen: Durch seine literarischen und seine philosophischen Werke. Beide führen ein in eine Art zu Leben, eine Art Mensch sein. Es geht um das Existieren als solches - um Leben und Sterben - und damit berührt Jean-Paul Sartre nicht weniger als alle Facetten der Menschlichkeit.

Die schmutzigen Hände

176 Seiten, € 7,95, broschiert / kartoniert
rowohlt, ISBN 978-3499124853
aus dem Französischen von Eva Groepler

Rezensiert von Linn Micklitz