Ein Liebesabenteuer

Eines Morgens im Herbst 1856 öffnete mein Diener – ich hatte ihm ausdrücklich Anweisung gegeben, mich nicht zu stören – die Tür meines Arbeitszimmers, und da ich höchst vielsagend das Gesicht verzog, meinte er: «Monsieur, sie ist ausgesprochen hübsch.
Pardon, das Französisch des Rezensenten ist in einem Maße eingeschlafen, dass man sagen könnte, es läge im Koma, doch soll es hier dennoch einmal versucht werden: Magnifique. Für alle, denen es ähnlich geht: Großartig! Wir finden ein Buch vor, das changiert, zwischen Roman, Reisebericht, Theater-Dialogen, Satire, und dieses eben auf wunderbare Weise. Ganz kurz zusammengefasst. Den gealterten Autor Dumas besucht eine hinreißende Schauspielerin aus dem fernen Ungarn. Der Frauenheld gerät entsprechend in Verzückung, doch etwas ist anders, sie legt von Anfang an die Karten auf den Tisch, es wird kein Liebesabenteuer zwischen den ungleichen Bekannten geben, Punkt, aus. Ein Dumas mag sich gedacht haben: Endlich einmal eine Herausforderung, die das ganze Verführungstalent fordert! Doch denkt er dies jedenfalls nicht lange, denn fasziniert stellt er auf einer gemeinsam angetretenen Reise, nach dem Aufenthalt in Paris, fest: Das man(n) mit Frauen, entgegen seinem ursprünglichen Denken, doch wirklich befreundet sein kann.
Wahrhaftig, wenn die Männer wüssten, welch Zauber in der Freundschaft einer Frau liegt, und gar erst in der zweier Frauen, dann vergössen sie womöglich eine Freudenträne, ganz gewiss aber eine Träne des Bedauerns, und zwar an dem Tag, da sie die Grenzen der Freundschaft überträten, um den Fuß in das Herrschaftsgebiet der Liebe zu setzen.
Besagte Reise bringt eben aus Paris, beide in geschwisterlicher Freundschaft, über Brüssel und den Rhein hin ins deutsche Mannheim, was dem Autoren Gelegenheit bietet, über das Gesehene, Gewusste und Erinnerte schreibend nachzudenken. Und dieses auf eine Art, die mit der Zunge schnalzen lässt. So selbstverliebt Dumas war, er ist nie aufdringlich, so sehr er auch die Wahrheit anpasste, lügt er nie wirklich. So sehr er Franzose war und Republikaner, ist er in seinem Spott über das Deutsche doch nicht ohne milde Zuneigung.
Ich weiß nicht, ob ich schon irgendwo meiner Begeisterung darüber Ausdruck verliehen habe, wie in Deutschland gegessen wird; und ich meine nicht die Qualität, ich meine die Quantität. Das geht so weit, dass ich mich manchmal frage, ob die deutschen Frauen nicht zu Unrecht in dem Ruf stehen, Träumerinnen zu sein, oder ob sie nicht vielmehr, wenn man glaubt, dass sie träumen, einfach mit ihrer Verdauung beschäftigt sind.
Etwa wenn er in der wiedergegebenen Konversation zu Anfang des Buches das Theater in den Satzwechseln aufleben lässt und in Rasanz und Brillanz die Witzigkeit, die milde Ironie und den doppelten Boden der Rede beinah unnachahmlich zelebriert. Sich als Alleskönner, als omnipotent darstellend und sich da bescheiden zeigend, wo er wohl fand, dass seine Bescheidenheit zu loben sei.

Auch in anderem Sinne zeigt Dumas, dass dieses autobiographische Buch seine eigene Verwurzelung im Theater nicht verschweigt, so haben wir wie bei Hamlet ein Stück im Stück vorgefunden, dieses wunderbar eingebunden, und diesmal wirklich ein, wenn nicht DAS, Liebesabenteuer aufführt. Und wie: Der Schmelz dieser Sehnsucht, der Klang dieses hohen Gefühls!
Zurück zur Witzigkeit, man lacht nicht selten laut auf, und manche Pointe ist voll von Überraschung. So kann sich der Genießer Dumas seitenlang über die Unsitte des auf deutsche Art, wobei er meint: auf nicht-französische Art, zubereiteten Kaffees aufregen, mit dem heiligen Zorn desjenigen, der aus Speis und Trank Freuden wie kaum ein andrer zu ziehen vermochte. Und auch als Deutscher muss man darüber lachen und kann sich daran freuen. Auch darf man nicht vergessen, wann diese Zeilen geschrieben wurden. In einer Zeit, die hier in Sätzen und Abschnitten wieder auflebt und in die Kultur derselben einführt und stets interessant dabei auf Berühmtheiten und zur Berühmtheit Strebende oder draufhin Angeschobene eingeht.

So gerät das alles zu einem Zeitraum der Freude, sowohl das, was man liest, dem Inhalt nach, als auch wie man es ließt, dem Lesevergnügen nach. Denn es wird zur Liebeserklärung an die platonische Liebe. An die Frauen von Schönheit und Geist. Auch wenn man(n) ihnen sich nicht so nahen kann, wie man es vielleicht in ersten Momenten der Bekanntschaft wollte. Ja, sogar so weit gehend, dass man jenes nicht mehr will, um dieses nicht zu verlieren.
So endet das Buch, mit tiefer Weisheit, die aus Verweigerung und einer vermeintlichen Niederlage des Eroberers entsteht. Doch eine Niederlage in einen Sieg zu wenden, war schon immer das Vermögen der größten aller Schlachtenlenker, und sei es jene Schlacht des liebenden Kampfes im Zwischenmenschlichen. Schlachten, die Dumas als glänzender Erzähler und also Beobachter zu schlagen vermochte, und bei anderen sich darin Schlagenden zu erkennen befähigt war.

Der Ton all dessen: Dies melancholische Spiel mit der Erinnerung, die von großer Reife gemäß einer erlangten Distanz spricht, dieses Spiel also erscheint, bei aller Maskenhaftigkeit, in ganz eigener Wahrhaftigkeit, die sich nicht zu ernst nimmt. Sich nicht darüber täuscht, die Wahrheit einordnend, was diese sei und unter wie vielen anderen sie vielleicht steht, oder was es heißt, eine unter diesen einmal ausgesprochen zu haben. Dumas ist ein Erzähler, kein Lehrer und kein Philosoph. Wir nun, die wir die vorliegende Erzählung uns selbst durch das Lesen nach-erzählen, vermögen es unzweifelhaft dem nur zu entnehmen, was zu entnehmen ist, von diesem aber, was uns besonders anspricht, also was wir wollen, dass das Thema des Buches sei, oder sein wesentliches Gesicht. Der Rezensent jedenfalls wurde fündig, und darüber ausgesprochen freudig.
Deine Liebe zu ihr wird nicht größer sein, als wenn du sie wie eine gute Freundin liebst; und du weißt, dass es sinnlos ist, sie auf andere Weise zu lieben.
Rezension von Thomas Treichel

Ein Liebesabenteuer

104 Seiten, € 5,80, Taschenbuch
Books on Demand, ISBN 978-3843015547
aus dem Französischen von Ernst Susemihl

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Ein Liebesabenteuer

Eines Morgens im Herbst 1856 öffnete mein Diener – ich hatte ihm ausdrücklich Anweisung gegeben, mich nicht zu stören – die Tür meines Arbeitszimmers, und da ich höchst vielsagend das Gesicht verzog, meinte er: «Monsieur, sie ist ausgesprochen hübsch.
Pardon, das Französisch des Rezensenten ist in einem Maße eingeschlafen, dass man sagen könnte, es läge im Koma, doch soll es hier dennoch einmal versucht werden: Magnifique. Für alle, denen es ähnlich geht: Großartig! Wir finden ein Buch vor, das changiert, zwischen Roman, Reisebericht, Theater-Dialogen, Satire, und dieses eben auf wunderbare Weise. Ganz kurz zusammengefasst. Den gealterten Autor Dumas besucht eine hinreißende Schauspielerin aus dem fernen Ungarn. Der Frauenheld gerät entsprechend in Verzückung, doch etwas ist anders, sie legt von Anfang an die Karten auf den Tisch, es wird kein Liebesabenteuer zwischen den ungleichen Bekannten geben, Punkt, aus. Ein Dumas mag sich gedacht haben: Endlich einmal eine Herausforderung, die das ganze Verführungstalent fordert! Doch denkt er dies jedenfalls nicht lange, denn fasziniert stellt er auf einer gemeinsam angetretenen Reise, nach dem Aufenthalt in Paris, fest: Das man(n) mit Frauen, entgegen seinem ursprünglichen Denken, doch wirklich befreundet sein kann.
Wahrhaftig, wenn die Männer wüssten, welch Zauber in der Freundschaft einer Frau liegt, und gar erst in der zweier Frauen, dann vergössen sie womöglich eine Freudenträne, ganz gewiss aber eine Träne des Bedauerns, und zwar an dem Tag, da sie die Grenzen der Freundschaft überträten, um den Fuß in das Herrschaftsgebiet der Liebe zu setzen.
Besagte Reise bringt eben aus Paris, beide in geschwisterlicher Freundschaft, über Brüssel und den Rhein hin ins deutsche Mannheim, was dem Autoren Gelegenheit bietet, über das Gesehene, Gewusste und Erinnerte schreibend nachzudenken. Und dieses auf eine Art, die mit der Zunge schnalzen lässt. So selbstverliebt Dumas war, er ist nie aufdringlich, so sehr er auch die Wahrheit anpasste, lügt er nie wirklich. So sehr er Franzose war und Republikaner, ist er in seinem Spott über das Deutsche doch nicht ohne milde Zuneigung.
Ich weiß nicht, ob ich schon irgendwo meiner Begeisterung darüber Ausdruck verliehen habe, wie in Deutschland gegessen wird; und ich meine nicht die Qualität, ich meine die Quantität. Das geht so weit, dass ich mich manchmal frage, ob die deutschen Frauen nicht zu Unrecht in dem Ruf stehen, Träumerinnen zu sein, oder ob sie nicht vielmehr, wenn man glaubt, dass sie träumen, einfach mit ihrer Verdauung beschäftigt sind.
Etwa wenn er in der wiedergegebenen Konversation zu Anfang des Buches das Theater in den Satzwechseln aufleben lässt und in Rasanz und Brillanz die Witzigkeit, die milde Ironie und den doppelten Boden der Rede beinah unnachahmlich zelebriert. Sich als Alleskönner, als omnipotent darstellend und sich da bescheiden zeigend, wo er wohl fand, dass seine Bescheidenheit zu loben sei.

Auch in anderem Sinne zeigt Dumas, dass dieses autobiographische Buch seine eigene Verwurzelung im Theater nicht verschweigt, so haben wir wie bei Hamlet ein Stück im Stück vorgefunden, dieses wunderbar eingebunden, und diesmal wirklich ein, wenn nicht DAS, Liebesabenteuer aufführt. Und wie: Der Schmelz dieser Sehnsucht, der Klang dieses hohen Gefühls!
Zurück zur Witzigkeit, man lacht nicht selten laut auf, und manche Pointe ist voll von Überraschung. So kann sich der Genießer Dumas seitenlang über die Unsitte des auf deutsche Art, wobei er meint: auf nicht-französische Art, zubereiteten Kaffees aufregen, mit dem heiligen Zorn desjenigen, der aus Speis und Trank Freuden wie kaum ein andrer zu ziehen vermochte. Und auch als Deutscher muss man darüber lachen und kann sich daran freuen. Auch darf man nicht vergessen, wann diese Zeilen geschrieben wurden. In einer Zeit, die hier in Sätzen und Abschnitten wieder auflebt und in die Kultur derselben einführt und stets interessant dabei auf Berühmtheiten und zur Berühmtheit Strebende oder draufhin Angeschobene eingeht.

So gerät das alles zu einem Zeitraum der Freude, sowohl das, was man liest, dem Inhalt nach, als auch wie man es ließt, dem Lesevergnügen nach. Denn es wird zur Liebeserklärung an die platonische Liebe. An die Frauen von Schönheit und Geist. Auch wenn man(n) ihnen sich nicht so nahen kann, wie man es vielleicht in ersten Momenten der Bekanntschaft wollte. Ja, sogar so weit gehend, dass man jenes nicht mehr will, um dieses nicht zu verlieren.
So endet das Buch, mit tiefer Weisheit, die aus Verweigerung und einer vermeintlichen Niederlage des Eroberers entsteht. Doch eine Niederlage in einen Sieg zu wenden, war schon immer das Vermögen der größten aller Schlachtenlenker, und sei es jene Schlacht des liebenden Kampfes im Zwischenmenschlichen. Schlachten, die Dumas als glänzender Erzähler und also Beobachter zu schlagen vermochte, und bei anderen sich darin Schlagenden zu erkennen befähigt war.

Der Ton all dessen: Dies melancholische Spiel mit der Erinnerung, die von großer Reife gemäß einer erlangten Distanz spricht, dieses Spiel also erscheint, bei aller Maskenhaftigkeit, in ganz eigener Wahrhaftigkeit, die sich nicht zu ernst nimmt. Sich nicht darüber täuscht, die Wahrheit einordnend, was diese sei und unter wie vielen anderen sie vielleicht steht, oder was es heißt, eine unter diesen einmal ausgesprochen zu haben. Dumas ist ein Erzähler, kein Lehrer und kein Philosoph. Wir nun, die wir die vorliegende Erzählung uns selbst durch das Lesen nach-erzählen, vermögen es unzweifelhaft dem nur zu entnehmen, was zu entnehmen ist, von diesem aber, was uns besonders anspricht, also was wir wollen, dass das Thema des Buches sei, oder sein wesentliches Gesicht. Der Rezensent jedenfalls wurde fündig, und darüber ausgesprochen freudig.
Deine Liebe zu ihr wird nicht größer sein, als wenn du sie wie eine gute Freundin liebst; und du weißt, dass es sinnlos ist, sie auf andere Weise zu lieben.
Rezension von Thomas Treichel

Ein Liebesabenteuer

104 Seiten, € 5,80, Taschenbuch
Books on Demand, ISBN 978-3843015547
aus dem Französischen von Ernst Susemihl

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Rezensiert von Gast