von Olivia Vieweg
Antoinette kehrt zurück
Jason, I have to go now.Antoinette. Es ist wohl nicht zufällig, dass Olivia Vieweg ihrer Hauptfigur einen Namen verpasste, bei dem man assoziativ relativ rasch bei rollenden Köpfen anlangt. Und das, obwohl besagte Antoinette eigentlich ein ganz prima Leben führt: Sie ist erfolgreiche Kreativchefin einer Werbeagentur im stets sonnigen L.A., hat den Star geheiratet, den sie vorher nur heimlich anhimmeln konnte und – am wichtigsten – ist weit, weit weg von Harzberg, dem Ort ihrer Geburt und Kindheit, der für sie zum Inbegriff der Hölle wurde. Doch auch die ältesten Wunden heilen manchmal nicht von selbst, und so muss Antoinette den Schwur, den sie sich dereinst geleistet hat, brechen und nochmals, nur einmal noch, zurück in die Hölle namens Heimat. Zurück in die Düsternis des deutschen Waldes. Zurück in die dörfliche Trostlosigkeit. Zurück zu den Menschen, die ihr die Schulzeit zur Tortur machten. Weil sie etwas klüger war als alle anderen. Weil ihre Mutter etwas komisch war. Einfach weil Kinder halt manchmal grausam sein können. Natürlich wissen ihre Peiniger von damals davon jetzt nichts mehr. Warum auch? Antoinette muss also zurück, damit ihr Leiden endgültig ein Ende nehmen kann, damit ihre Vergangenheit endlich aufhört, sie ständig einzuholen. Und ja, es werden Köpfe rollen. Mit dem Entwurf zu »Antoinette kehrt zurück« gewann Olivia Vieweg 2012 das Comicstipendium der Egmont-Verlagsgesellschaften – und das mit Recht! Prägnant und knapp erzählt uns die gebürtige Jenenserin die alte Geschichte von der Rückkehr aus dem mondänen Stadtleben in die Enge und Einfachheit des Ländlichen. Und sie präsentiert uns eine Seele, die am Kleingeist ihres Umfeldes fast (oder doch vollständig?) zerbrach. Es geht um Mobbing in der Schule, ein immer relevantes Thema, das aber nur kurz angerissen wird. Ursachen werden kaum ergründet, eine tiefgreifende Analyse der Täterfrage sucht man hier vergebens. Warum auch? Vieweg interessiert sich nur für das Opfer und für die Folgen – zielstrebig arbeitet sie auf eine Eskalation hin. Und sie führt diese mit einer Kälte aus, die einem so gekonnt Schauer über den Rücken laufen lässt, wie es sonst nur ein Dürrenmatt vermochte. Gewürzt ist ihre kleine, gemeine Geschichte mit punktgenauen Formulierungen und trefflichen sprachlichen Bildern. Doch natürlich sind nicht nur die sprachlichen Bilder eine Erwähnung wert. Ist man mit der Vorab-Information ausgestattet, dass Frau Vieweg sich zu Beginn ihrer Karriere als Mangaka versuchte, so kann man in ihren Zeichnungen durchaus östliche Einflüsse erkennen. Die Bilder bestechen durch eine angenehme Einfachheit, wirken fast skizzenhaft und sind wundervoll atmosphärisch mit nichts weiter als Grau- und Orangetönen koloriert. Das passt einerseits zur simplen, geradlinigen und durchaus auch atmosphärisch erzählten Geschichte, hat aber auch etwas schön Markantes, einen gelungenen Wiedererkennungswert. Und es sorgt dafür, dass man »Anoinette kehrt zurück« mit Fug und Recht als Graphic Novel bezeichnen kann, diesen Begriff, den Verlage so gern als Abgrenzung zu profanen Unterhaltungscomics verwenden. Denn ja, Antoinette ist keine Marvelheldin, sie ist, in Wort und Bild, eine literarische Figur. Und da gute Literatur auch einen Blick hinter die Kulissen verdient, erwarten den Leser als kleiner Bonus nach der Geschichte noch ein paar von der Autorin sehr schön reflektiert kommentierte Skizzen und ein handelsübliches, aber einigermaßen interessantes Interview zu Entstehung und Themen des Comics. Das ist nicht nur ein passender, sondern durchaus auch ein nötiger Ausklang nach all der Düsternis, die einem die Reise in die höllische Heimat der armen Antoinette bescherte. Dennoch wird einen Antoinettes Schicksal so schnell nicht mehr loslassen.
Antoinette kehrt zurück
von Olivia Vieweg
Rezensiert von Martin Katzorreck
Martin ist Psychologe und trotzdem ganz umgänglich. Wenn er nicht gerade im Kino sitzt, dann liest er – nach eigenem Ermessen aber immer viel zu selten. Er liebt Bücher, die ihn mit Sprachgewalt packen und in ungesehene Welten zerren. Gerne in Form eines Romans, doch auch Graphic Novels gegenüber ist er nicht abgeneigt. Auch wenn er sie häufig noch als „Comics“ bezeichnet.