Orlando. Eine Biografie

Er – denn es konnte keinen Zweifel an seinem Geschlecht geben, wenn auch die Mode der Zeit einiges tat, es zu verhüllen – war soeben dabei, auf den Kopf eines Mohren einzusäbeln, der von den Dachbalken baumelte.
Nicht weniger als knappe 400 Jahre liegen zwischen Geburt und Tod Orlandos; als adliger Höfling steht er anfangs vor Königin Elisabeth, versucht sich später als Dichter oder reist als Diplomat nach Konstantinopel. Die Zeit läuft, und Virginia Woolf durcheilt als fiktive Chronistin die großen Epochen der englischen Geschichte.
Als ob die Geschichte vor diesem Hintergrund allein nicht schon ungewöhnlich genug wäre, lässt Woolf ihren Protagonisten sozusagen auf halber Strecke über Nacht sein Geschlecht wechseln: Orlando wacht nach tagelangem Schlaf schließlich als Frau wieder auf.
Die Erinnerung ist die Näherin, und eine kapriziöse noch dazu. Die Erinnerung führt ihre Nadel ein und aus, auf und nieder, hierhin und dorthin.
Über allem steht immer Virginia Woolfs Sprache, diese unglaublich soghafte Poesie, die sich mühelos zwischen feinsinniger Ironie und detailgetreuen Beobachtungen bewegt; allein die literarische Erzählkunst Woolfs sollte Grund genug für jeden sein, diesem Roman so bald wie möglich eine Chance zu geben.

Es sind aber besonders auch die verarbeiteten Themen, die den Roman so unglaublich lesenswert und tatsächlich auch gedanklich wichtig und hochaktuell machen: Es geht nicht nur um Emanzipation und Ästhetik, um Selbsterfüllung und die berühmte Frage nach dem Sinn des Lebens – es geht vor allem darum, was einen Menschen letztlich ausmacht und was ihn abseits starrer Geschlechterrollen definiert.
Das Leben! Ein Liebhaber!
Dieser Roman ist nicht nur ein schillerndes Indiz dafür, dass Virginia Woolf zu Recht als eine der größten Schriftstellerinnen gilt – mehr noch, „Orlando“ ist der wortgewordene Beweis dafür, dass Literatur zu beinahe allem fähig ist.

Orlando. Eine Biografie

302 Seiten, € 8,00, Taschenbuch
Insel Verlag, ISBN 978-3458359388
aus dem Englischen von Melanie Walz

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Rezensiert von Alexander Schau