Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten

Es war die erste Nacht ohne das ferne Artilleriefeuer, es war die ganze Nacht still. Der Hund schlief auf dem steinernen Fussboden, und ich hörte seinen unregelmäßigen Atem. Er zuckte mit den Pfoten, manchmal träumte ihm wohl.
Der Titel klingt nach einer Offenbarung. Aber zugegeben: Offenbart hat sich mir hier nach der Lektüre nicht gerade viel.

Worum geht es? Der Roman spielt in der Schweiz, jedoch in einer Parallelwelt. In dieser Welt ist im zweiten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts etwas entschieden anders verlaufen: Lenin, der sich im Exil in der Schweiz befand, kehrte nicht nach Russland zurück, um dort 1917 führender Kopf der Oktoberrevolution zu werden; stattdessen fand die Revolution in der Schweiz statt. Die Handlung des Romans nun findet in der geographisch bis nach Afrika hin ausgedehnten "Schweizerischen Sowjetrepublik" statt. Wir schreiben das 96. Jahr eines Weltkrieges, der offenbar seit der Staatsgründung tobt – schon so lange Zeit, dass kein noch lebender Bürger dieser Länder je in Friedenszeiten gelebt hat.
In der SSR spricht man sich förmlich mit „Eidgenosse“ an. Der namenslose dunkelhäutige Ich-Eidgenosse, der aus einem nun zur SSR gehörigen Teil Afrikas stammt, ist Teil des militärischen Zweigs der Staates und bekommt den Auftrag, einen polnischen Oberst gefangen zu nehmen. Dieser Oberst ist über alle Berge, genauer gesagt in das Réduit der Schweizer Alpen geflohen, wohin der Ich-Erzähler ihm folgt. So weit, so gut.

Im Verlauf der Erzählung bekommt man durch die sachliche, distanzierte Art, mit der der Ich-Erzähler seine Welt beschreibt nur einen vagen Eindruck dieser Kriegsgesellschaft, in der die Vollstreckungen von Todesstrafen die Normalität prägen, in der die Schriftkultur weitestgehend abgeschafft und die Religion ausgerottet wurde. Die Dialoge sind oft verwirrend, das Ende der Geschichte umso mehr.
Die Geschichte selbst wirkt recht lieblos erzählt. Nicht nur vonseiten des Ich-Erzählers, der seine Umgebung meist sehr sachlich und kühl betrachtet. Nein, lieblos wirkt es auch vonseiten des Autors. Es werden viele interessante Themen angesprochen, allein schon die Utopie einer Schweizerischen Sowjetrepublik würde wohl viel Schreibstoff bieten, daneben Ideen wie der Wegfall der Schriftkultur und die Erfindung einer neuen Sprache, aber all das wird immer nur kurz angerissen, um dann direkt wieder fallen gelassen zu werden. Dialoge laufen so ab, als werde man fast schon dazu gezwungen, seinen Bleistift herauszuholen und große Fragezeichen an den Papierrand zu kritzeln.

Um zu wissen, dass der lange Titel des Romans auf ein Soldatenlied aus dem Ersten Weltkrieg anspielt, muss man erst andere Lektüre konsultieren, denn erklärt wird hier nicht gerade viel. Es wird um sich geworfen mit Begriffen, von denen die meisten Leser wohl noch nie gehört haben werden: Man isst Nsima in einer Beiz bei einem Nyamwezi und raucht dazu seinen Fodya aus den Papierosys. Ahso. Was das sein soll, darf man sich größtenteils selbst zusammenreimen.

Sicher, man könnte das eine 'radikale, neue Form des Erzählens' nennen, aber genauso gut kann man auch behaupten, dass es undurchdacht und unfertig wirkt.
Statt einer Offenbarung blieb mir am Ende nur sehr oft das Wort „offenbar“, Mutmaßungen, viel mehr nicht. Es ist nicht mehr der Kracht, der in Bret Easton Ellis-Manier mit Markennamen durch die Gegend schmeißt, nein, das nicht. Stattdessen findet man sich wieder in einer Parallelwelt, die nicht wirklich erklärt wird, in der die Handlung skurril bleibt und die handelnden Personen ebenso. Wenn es der Sinn des Buches war, viel anzudeuten und wenig zu erklären, dann ist ihm das gelungen. Meiner Meinung nach wurde hier einiges an Potential verschenkt, wollte hier viel zu viel Inhalt auf viel zu wenig Seiten erzählt werden. Und damit wären wir auch beim überzeugendsten Punkt, das Buch trotzdem zu lesen: Es hat nur knapp 150 Seiten. Und ich verkneife mir ein „Zum Glück“.

Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten

160 Seiten, € 8,90, broschiert / kartoniert
dtv, ISBN 978-3423138925

Rezensiert von Rike Zierau