Dorfpunks

Ich war Roddy Dangerblood. Bis ich 19 war.
In »Dorfpunks« erzählt Rocko Schamoni die Geschichte seiner Rocko-Schamoni-Werdung.
Gleichzeitig ist das wohl die Geschichte fast aller Jugendlicher, die intensiv träumen, aber nur vage wissen, wovon.
Es geht um Rebellion, Punk sein, (ohne zu wissen, was das eigentlich genau ist,) die Lehre überstehen, die ersten Schwierigkeiten mit Frauen, die Sehnsucht nach der Großstadt, das Verlieren der Freunde an die ersten Partner, absurde Spitznamen kurzum: Identitätssuche und -findung.
Und natürlich viel viel viel Musik.
Ich sah das erste Mal in meinem Leben doppelt und taumelte nach Hause. Auch diese wunderbaren Doppelbilder werde ich nie vergessen, ich war sehr stolz damals. So musste das Erwachsenwerden sein: Stereo.
Wie üblich schreibt Schamoni aberwitzig und leicht irre, immer nachvollziehbar, immer in schlichten, treffenden Worten, immer an der Grenze des Ekels und der Absurdität, aber immer absolut liebenswert.

Der Roman lebt von Szenen, die zwar real vorstellbar sind, aber in der Nachwirkung als herrliche skurrile Denkmäler der Phantasie Schamonis im Hirn nachbrennen. Quasi Gedächtnis-Brandings.
Er versuchte eine Ewigkeit, den Wagen wieder zu starten, vergeblich. Schließlich schloss er von innen die Türen ab, klappte den Sitz zurück und legte sich schlafen. Das einzige Problem daran war, dass er mitten auf der Umgehungsstraße, also wirklich quer auf der Hauptverkehrsader [...] stand. Er fiel in einen steinernen Schlaf und erwachte erst Stunden später durch das laute, dröhnende Geräusch, das die zwei Polizisten erzeugten, die mit ihren Fäusten wütend auf das Autodach einprügelten. Hinter ihnen standen in einer langen Schlange die Berufstätigen [...].
So ideenreich, bildgewaltig und kreativ das Buch auch formuliert ist, uneingeschränkt gut ist es leider nicht.
Da man aus den »Sternstunden der Bedeutungslosigkeit« wirkliche Weisheiten ziehen kann, verlieren die »Dorfpunks« den Kampf um das beste Buch Schamonis einfach. Die einzige wirklich weise Stelle hier ist:
Seitdem gibt es für mich eigentlich keine schlechte Musik mehr, ich finde immer etwas darin [...]. Fast automatisch fange ich seitdem an, die Stücke, die ich höre, zu sezieren, mich auf einzelne Sounds oder Frequenzen zu konzentrieren, um etwas Geheimes zu finden. Da liegt soviel aus dem Leben des Menschen rum.
Mein Fazit: Lustig, aber belanglos. Und das ist schade, weil der Schamoni das auch anders kann. Große Literatur wird das auch nie. Die Bilder sind immer liebevoller als die Sprache, aber wen interessiert bei Pop schon der Text?

Vielleicht bin ich aber auch einfach schon zu alt für die »Dorfpunks«, daher möchte ich die folgende Empfehlung aussprechen:
Schüler aller Art: Unbedingt lesen!!!
Rocko-Schamoni-Freunde: Unbedingt lesen!!!
Erstleser über 23 Jahre: Bitte erst die »Sternstunden« lesen und süchtig werden!
Mutti: Das willst Du nicht wissen. Glaub mir.

Fertich.

(Wer aber noch nicht genug hat: )
Vor den Augen verdutzter Anwohner flog ich mehrere Meter an ihren Wohnzimmerfenstern vorbei und bremste meinen Flug schließlich wiederwillig mit der Nase auf dem Asphalt. Dann stand ich schnell auf und tat so, als ob das Ganze eine von mir beabsichtigte Übung gewesen wäre.

Dorfpunks

201 Seiten, € 9,99, Taschenbuch
Rowohlt, ISBN 978-3499241161

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Rezensiert von Anna Gierden