Die Reinheit des Mörders

Sobald die Nachricht an die Öffentlichkeit drang, dass der gewaltige Schriftsteller Prétextat Tach nur noch zwei Monate zu leben hatte, baten Journalisten aus aller Welt um Exklusiv-Interviews. Gewiss, der alte Herr genoss beachtliches Prestige, aber man staunte doch nicht schlecht, dass nun die Korrespondenten so bekannter Zeitungen wie des Nankinger Hörensagens (wir erlauben uns zu übersetzen) und des Bangladesh Observer darauf brannten, sich ans Krankenbett eines über achtzigjährigen Romanciers französischer Zunge zu verfügen.
Prétextat Tach ist schon eine ganz eigene Sorte Mensch: Träger des Literaturnobelpreises, inzwischen in mehr als fortgeschrittenem Alter, ein ausgesprochener Fettwanst. Als bekannt wird, dass der greise Literat nur noch zwei Wochen zu leben hat, entbrennt unter Frankreichs Journalisten ein regelrechter Kampf um die große Ehre, ein Interview mit dem berühmten Romancier führen zu dürfen.
Dessen Agent wählt fünf Journalisten aus, die dem großen Prétextat Tach einen Besuch abstatten dürfen - und die ersten vier scheitern auf ganzer Linie. Der Alte zerbricht sie im Laufe der Interviews wie Glas und lässt sie allesamt klein und beschämt von dannen kriechen. Seinem Wesen, das er hinter einer Mauer aus Beleidigungen und Rhetorik zu hüten scheint, ist niemand gewachsen. Am fünften Tag jedoch erhält er, leidenschaftlicher Frauenhasser, Besuch von einer Journalistin, und ausgerechnet diese Frau weist ihn in seine Schranken. Sie ist ihm gewachsen, sie ist die erste, die es mit ihm aufnehmen kann. Und sie schafft es, die Kindheit des Schriftstellers ernaut heraufzubeschwören, wodurch sie ein gefährliches Geheimnis lüftet.

Es ist herrlich mitzuerleben, wie der große Literat die einzelnen Journalisten durch seine Antworten und Spielchen einfach plattwalzt. Der Zynismus, den die Autorin "ihrem" Nobelpreisträger hier in den Mund legt, ist einer der bösesten Sorte, und er kommt auch für den Leser zumeist so plötzlich, dass man sich noch mehr daran erfreuen kann.
Nichtsdestotrotz regt dieser Roman immer wieder zum Nachdenken an; besonders das letzte, große Interview mit Nina wirft immer wieder philosophische und theologische Fragen auf. Zu beobachten, wie die beiden Protagonisten diese behandeln und darauf (wenn auch nicht immer sofort) eingehen, ist neben der beißenden Bösartigkeit wohl das Interessanteste an diesem Buch. Alles dreht sich um Menschen und den gähnenden Abgrund zwischen Stolz und eigener Ethik.

Die Reinheit des Mörders

217 Seiten, € 8,90,
Diogenes, ISBN 3257228279
aus dem Französischen von Wolfgang Krege

Rezensiert von Alexander Schau