von Alina Bronsky
Barbara stirbt nicht
Als Herr Schmidt Freitagfrüh aufwachte und den Kaffeeduft vermisste, dachte er zuerst, dass Barbara gestorben sein könnte. Das war zwar eine absurde Vorstellung - Barbara war gesund wie ein Pferd -, noch abwegiger schien allerdings die Möglichkeit, dass sie verschlafen haben könnte.Walter Schmidt ist ein Mann alter Schule mit klar definierten Werten: Männer weinen nicht, schon gar nicht vor ihren Kindern. Der Platz der Frau ist in der Küche, pünktlich um halb eins hat das Mittagessen auf dem Tisch zu stehen. Kaffeekochen und Putzen ist Frauensache. Das Verhältnis zu seinen Kindern kann man bestenfalls als unterkühlt bezeichnen. Sein Schäferhund gehorcht aufs Wort und heißt Helmut, wie es sich eben für einen guten deutschen Hund gehört. Vor allem ist Herr Schmidt aber – nennen wir das Kind einfach beim Namen – ein ziemlich unsympathisches Arschloch. Seine Frau Barbara aber liebt er über alles, auch wenn er seine Gefühle unter der rauen Schale seines Charakters gekonnt verbirgt. Die goldene Hochzeit liegt noch nicht lange zurück, die beiden haben sich in ihrem gemeinsamen Leben eingerichtet und es ist offensichtlich, dass sie tief füreinander empfinden. Und als Barbara eines Morgens nicht mehr aufsteht und Walter mit einem Mal auf sich allein gestellt ist, gerät seine Welt gehörig ins Wanken.
Sie aßen pünktlich um halb eins zu Mittag und besprachen das Wetter, den Garten und die Auswirkungen des Wetters auf den Garten. Während Barbara abräumte, saß Herr Schmidt im Sessel, hörte sie in der Küche nebenan mit dem Geschirr klappern und las die Zeitung. Er informierte sie, wie viel Zeit seit der letzten Mahlzeit vergangen war, wie lange es noch bis zum Nachmittagskaffee dauern würde, dann käme schon das Abendessen und er würde den Fernseher einschalten können.Mit viel Biss und Schärfe und dennoch unheimlich warmherzig malt Alina Bronsky in ‹Barbara stirbt nicht› das Bild einer Ehe, die durch plötzliche Veränderungen auf den Prüfstand gestellt wird. Besonderes Augenmerk legt sie dabei auf Walter: Während der cholerische Rentner an seiner neuen Rolle als Versorger und Familienkoch wider Erwarten schnell Gefallen findet, bekommt auch seine über Jahrzehnte hinweg durch Vorurteile gefestigte Fassade langsam Risse. Mit der ihm aus dem gemeinsamen Bekanntenkreis angebotenen Unterstützung weiß er nicht umzugehen und verfällt daher lieber in Beleidigungen und Trotz, als sich helfen zu lassen. Seinem Sohn Sebastian gegenüber begegnet er mit unverhohlener Abneigung, muss sich dann aber doch irgendwann eingestehen, dass es ohne Hilfe so nicht mehr weitergeht
Nun war alles anders.
»Sie müssen halt so richtig lange rühren. Bis es dick wird.«Auf dem steinigen Weg hin zu dieser schmerzhaften Einsicht schließt er neue Bekanntschaften mit Menschen, mit denen er unter anderen Umständen wohl niemals freiwillig ein Wort gewechselt hätte. Und auch wenn Walter bis zuletzt der unsympathische alte Geizkragen bleibt, als der er sich schon zu Beginn des Romans zeigt, gelingt es Alina Bronsky mit der Zeit doch, beim Leser Verständnis für das schwierige Wesen des Herrn Schmidt zu wecken. Weil sie seine charakterlichen Schwächen und Marotten nicht breit tritt und ihnen stattdessen nicht moralisierend, sondern vielmehr mit Witz und Humor begegnet, entsteht mit ‹Barbara stirbt nicht› schließlich ein feinziseliertes Charakterbild eines Menschen, der alles andere als perfekt ist.
»Wie lange?«
»Keine Ahnung. So paar Minuten halt.«
»Hab ich gemacht.«
»Dann müssen Sie halt noch länger. Das ist Übungssache. Aber wenn man nicht richtig rührt, kann man es auch ganz lassen. Kein Mensch will Grießbrei mit Klumpen.«
Barbara stirbt nicht
von Alina Bronsky
Rezensiert von Alexander Schau
Alex lebt schon eine Weile nicht mehr in Leipzig, liebt aber immer noch Ebooks und liest eigenen Angaben zufolge durchschnittlich 6,73 Bücher pro Monat. Paulo Coelho findet er immer noch widerlich, daran hat auch der Umzug nichts geändert.