Ruhm

Noch bevor Ebling zu Hause war, läutete sein Mobiltelefon. Jahrelang hatte er sich geweigert, eines zu kaufen, denn er war Techniker und vertraute der Sache nicht. Wieso fand niemand etwas dabei, sich eine Quelle aggressiver Strahlung an den Kopf zu halten?
Von Daniel Kehlmann, der jungen Hoffnung der deutschen Literatur, hat man viel gehört, ja eigentlich kam man gar nicht umhin, hier und da einige Lobeshymnen auf seinen Roman »Die Vermessung der Welt« aufzufangen, der in über 40 Sprachen übersetzt wurde. Selbst wenn man eigentlich nichts darüber hatte hören wollen. Da ich solchen Beweihräucherungen immer etwas skeptisch gegenüber stehe, entschied ich mich, erst einmal seinen neuesten Roman »Ruhm« zu lesen, von dem Kehlmann selbst behauptete, es wäre sein bisher bestes Werk. Dementsprechend hoch waren meine Erwartungen.

Das Buch besteht aus neun Geschichten, von denen die erste beim technischen Angestellten Ebling einsetzt, der, auf Grund eines Fehlers beim Telefonanbieter, plötzlich Anrufe für einen gewissen Ralf erhält. Versucht Ebling zunächst noch diesen Irrtum aufzuklären, beginnt er sich nach einer Weile manipulativ in die Identität dieses anderen zu fügen, für den er fälschlicherweise gehalten wird. Mit Ebling und Ralf ist die erste Verbindung geschaffen und es sollen noch viele weitere, weitaus kompliziertere folgen. Mit Leo Richter, dem Schriftsteller, beispielsweise, der sich nach und nach als Zentrum herausbildet und doch immer teilnehmend bleibt.
Kehlmann macht in »Ruhm« von der Erzähltechnik des Mise en abyme Gebrauch. Er verknüpft die Personen und Handlungen miteinander, schreibt rückverweisend und verwischt die Hierarchien zwischen Realität und Fiktion. Die Konstellationen ufern mit voranschreitender Seitenzahl aus, es ergeben sich neue Verbindungen bis das Geflecht geradezu labyrinthisch anmutet.

Der Autor scheitert jedoch an dieser Unternehmung. Seine Figuren bleiben im besten Falle flach und farblos, die Verknüpfungen wirken linkisch und erzwungen, die Hintersinnigkeit affektiert. Anspielungen auf den Alltag eines Autors, die Kehlmann vielleicht so selbst erlebt und erlitten hat, finden sich in nur mäßig amüsanter Fassung. Empfehlenswerter wäre hier der Roman »Das bin doch ich« des mit Kehlmann befreundeten Schriftstellers Thomas Glavinic. Überdies finden sich in »Ruhm« Dialoge der Figuren mit ihrem Verfasser, denen ich persönlich so gar nichts abgewinnen kann und die in müde auslaufender Handlung versickern.

Um noch einmal auf die Charaktere zurückzukommen, ich schrieb „im besten Falle flach und farblos“ und habe hierbei speziell die Figur des internetabhängigen Mittdreißigers Mollwitz im Hinterkopf, der den schlechtesten Fall darstellt und vollkommen misslungen scheint. Darin sticht dieser Teil des Buches, mit dem Titel »Ein Beitrag zur Debatte«, aus dem restlichen Geplänkel unangenehm hervor. Mollwitz arbeitet bei einer Telefongesellschaft, ist übergewichtig, von zweifelhafter persönlicher Hygiene und lebt in gegenseitiger Abhängigkeit mit seiner Mutter zusammen. Seine Geschichte soll einen Foreneintrag nachahmen und wirkt darin so unendlich, schamauslösend bemüht, wie es oft vorkommt, wenn sich jene an der Jugendsprache versuchen, die dem ganzen schon entwachsen sind. Mollwitz bedient sich eines Vokabulars, wie man es vielleicht bei Zwölfjährigen beobachten könnte und trägt sämtliche Klischees eines jugendlichen Computernerds zur Schau, indem er sein Schwadronieren über missliebige Kollegen, verfeindete Forenmitglieder und seine neurotische Mutter mit englischen Einwürfen überzuckert, bei denen es den Leser schüttelt.
Ich brauchte ein bisschen, bis ich überzog. Ja fucking shit. Was? Dazu müßt ihr wissen, ich verreise voller Container ungern. Die Seats in den Zügen sind schmal wie Irrsinn, so daß eine normale Menschenperson sich gar nicht reinseaten kann. [...] Auf dem Heimweg dann zur Beruhigung das neue Buch von Miguel Auristos Blancos. Schreibt der, daß man sich Dinge nicht zu Herzen nehmen soll: akzeptieren lernen.Aber genau so ists! Was ist denn besser, die Erde mit einem Teppich zu bedecken oder sich Schuhe anzuziehen? Mußt ich gleich rausschreiben. Wow. Wo nimmt so einer das her?
Diese Vorliebe für Literatur vervollständigt das fadenscheinige charakterliche Flickwerk dieser deformierten Figur, von der ich hoffe, dass sie eine himmelschreiende Parodie ist, selbst wenn ich auch dann noch keine Freude daran hätte. Aber bei »Scary Movie« konnte ich auch nicht lachen. So las ich dieses Kapitel lediglich der Vollständigkeit halber. Kehlmann hätte sich in intelligenten, philosophischen Betrachtungen ergehen oder wohlformulierten Witz einbauen können, um etwas ins Feld zu führen, das seinen schwindsüchtigen Figuren mehr Stand verleiht. Doch auch sprachlich kann »Ruhm« nicht viel bieten, auch wenn die Prosa des Autors frei von Stolpersteinen und in sich konsistent ist. Und würde er selbst nicht Gegenteiliges behaupten, hätte ich annehmen müssen, dass es ausschließlich Kehlmanns Ruhm ist, der die Verkäufe dieses Buches zu verschulden hat. Nach »Die Vermessung der Welt« wäre es denkbar gewesen, dass er bei einem Bierchen mit Herrn Glavinic mit ebenjenem eine Wette abschließt mit den Worten: „Thomas, ich sage dir. Ich habe eine Stufe des Ruhmes erreicht, auf der ich ALLES veröffentlichen kann.“

Ruhm

208 Seiten, € 10,00, Taschenbuch
Rowohlt, ISBN 978-3499249266

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Rezensiert von Juliane Kopietz