Amanda herzlos

Ich glaube, ich verlange nichts Unmögliches. Scheidungen sind nun mal ihrem Wesen nach unangenehm, das darf auch jemand sagen, der noch nie geschieden wurde. Jedenfalls habe ich nicht die Absicht, eine möglichst harmonische Sache daraus zu machen.
In »Amanda herzlos« erzählt Jurek Becker die Geschichte rund um die Protagonistin Amanda Zobel, eine junge Frau in Ost-Berlin, aus der Perspektive dreier Männer, welche mit Amanda – mal mehr und mal weniger – das Leben teilen. Ein richtiger Alltag stellt sich allerdings niemals ein. Gründe dafür liefern dem Leser Ludwig, Fritz und Stanislaus zur Genüge: Das Leben mit Amanda scheitert ausschließlich an ihrer nicht vorhandenen Kompromissbereitschaft und generellen Beziehungsunfähigkeit. Doch während die Männer mehr oder minder verständnislos von ihrer Amanda sprechen, wird man das Gefühl nicht los, dass Amanda eins mit Sicherheit nicht ist – nämlich herzlos.
Im Gegensatz zu ihren drei Partnern hat Amanda ausgeprägte Prinzipien und eine sehr genaue Vorstellung vom Sein. Dass das nicht unbedingt mit einer erfolgreichen Selbstvermarktung einhergeht oder ohne Selbstzweifel verläuft, bleibt nicht lange verborgen.

Eine Frau beschrieben von drei verschiedenen Männern, mal humorvoll im ewigen Monolog mit dem Scheidungsanwalt, mal vom misstrauischen Schriftsteller in einer Geschichte in der Geschichte, zuletzt vom Korrespondent aus Westdeutschland, dessen Tagebucheinträge die Abwechslung der Darstellung perfektionieren, allerdings eine Winzigkeit zu konstruiert wirken. Nur sie selbst, Amanda, kommt kein einziges Mal selbst zu Wort, was die Spekulationen um die Ungehörte beim Leser mächtig anheizt. Denn von den Männern scheint sie kein einziger wirklich verstanden und durchdrungen zu haben. Sie versuchen sich und scheitern an einer Silhouette, die sie auf den gut 380 Seiten prächtig illustrieren, doch ein wirkliches Bild vermögen sie nicht zu zeichnen. Es scheint, als liefe jede Beschreibung im Konvolut mit tausend anderen aus der Form, Amandas Erscheinung wabert vor den Augen des aufmerksamen Lesers mal hierin, mal dorthin um am Ende, trotz all ihrer gestochen scharfen Charaktersegmente, als Schemen und großes Geheimnis zurückzubleiben.
Nach dem Lesen bleiben Spekulationen, die ein solch offenes Geheimnis unwillkürlich nach sich zieht. Interpretationen bleiben jedem selbst überlassen, für mich ist Amanda ein Sinnbild für vieles, für starke Frauen, die in einer unfruchtbaren Umgebung unter ihren Möglichkeiten bleiben; für ein Land, dessen Weg klar gezeichnet ist, das es aber nicht schafft, nicht neben der Spur zu laufen; für die Entwicklungsstadien einer misstrauischen Zwischenmenschlichkeit.

Amanda herzlos

384 Seiten, € 11,00, Taschenbuch
Suhrkamp, ISBN 978-3518387955

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Rezensiert von Linn Micklitz