Der Spiegel im Spiegel

Verzeih mir, ich kann nicht lauter sprechen.
Ich weiß nicht, wann du mich hören wirst, du, zu dem ich rede.
Und wirst du mich überhaupt hören?
Ziemlich beeindruckend, was der geistige Vater von Atréju und dessen Freunden in Phantásien hier in diesen dreißig kurzen Texten erzählt: Szenarien, die zum Fürchten sind, größtenteils beinahe grausam, jedenfalls alles andere als märchenhaft. Was hier vor sich geht, ist erschreckend realistisch und surreal zugleich, zumeist unverständlich, und dennoch mitreißend und packend.

Die Erzählungen folgen keiner erkennbaren Logik, das Buch trägt den Untertitel "ein Labyrinth", und genau das ist es auch: Ein unaufhörliches Weiterstolpern. Verbunden sind die Geschichten nur ganz lose, durch kleinste Details, eine Farbe oder eine Stimmung beispielsweise. Den Vorsatz, all diese Episoden verstehen zu wollen, wird man schnell aufgeben müssen: Es gelingt nicht, denn dazu sind die Wendungen der Geschichten zu unvorhersehbar, die Kulissen zu traumatisch und die Charaktere zu unwirklich.
Moordunkel ist das Gesicht der Mutter. Breithüftig hockt sie auf dem Tisch und kaut. An der Wand lehnt die Standuhr, ein Riese, der die Stunden schlägt ohne Pause, die Stunden der Reue, die Stunden der Gebete, die blauen Stunden, die Morgenstunden, den Stundentag. Und die Nacht.
Zusätzlich zu den Texten enthält dieses Buch auch noch achtzehn Zeichnungen von Edgar Ende, dem Vater des Autors, welche die Geschichten immer wieder auflockern und durch ihre teils paradox-illustrativen Motive sogar noch zu verstärken scheinen. Bild und Text scheinen sich stellenweise wie natürlich gegenseitig zu ergänzen, und doch könnten beide eigentlich kaum unterschiedlicher sein.
Hat er denn keine Hilfe? Kein lebendiges Wesen, das ihm beisteht? Wird er nichts in sich finden, was er zu seiner Rettung erschaffen kann? Geschöpfe der Wildnis aus der Wildnis seines Herzens?
Großartig vor allem auch die Landschaften, die Ende entwirft: Weite Strecken unter einem wabernden Horizont, oder das Mittagszimmer, ein Raum voll Sand und Wüste, in welchem die Zeit nur so zu rennen scheint.
Das alles regt zum Nachdenken an, auch wenn ich in den vielen Skizzen nur selten einen Sinn gefunden habe. Aber hier steht auch gar nicht das Verstehen im Vordergrund, sondern etwas ganz anderes, was ich aber nicht absolut benennen kann: Atmosphäre vielleicht? Oder schlicht Faszination?

Was nach der Lektüre bleibt, ist das wunderbare Gefühl, sich soeben durch die Träume eines unheimlich einfallsreichen Erzählers getastet zu haben.

Der Spiegel im Spiegel

212 Seiten, € 12,99, Taschenbuch
Hockebooks, ISBN 978-3957513151

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Rezensiert von Alexander Schau