Die Spur des Teufels

In Coldhaven, einem kleinen Fischernest an der Ostküste Schottlands, wachten die Menschen vor langer Zeit an einem düsteren Morgen Mitte Dezember auf und sahen nicht nur, dass ihre Häuser tief und traumverloren unter einer so dicken Decke Schnee begraben lagen, wie sie nur ein- oder zweimal in jeder Generation ausgebreitet wird, sondern dass darüber hinaus, während sie geschlafen hatten, etwas Seltsames geschehen war, etwas, was sie sich nur mit Geschichten und Gerüchten zu erklären wussten, die sie allerdings, da sie ein braves und gottesfürchtiges Volk waren, höchst ungern weitererzählten, Geschichten, in denen der Teufel vorkam oder ein Gespenst, Geschichten, die widerstrebend eine verborgene Macht in der Welt anerkannten, deren Vorhandensein sie die meiste Zeit über lieber ignorierten.
Irgendwann einmal ist der Teufel durch das kleine Fischerdorf gekommen: Schwarze Hufabdrücke hat er im Schnee hinterlassen, eine Spur führt vom Meer hinein ins Land. Und obwohl die Menschen es eigentlich besser wissen sollten: Wer außer dem Leibhaftigen selbst soll es sonst gewesen sein?
Wie ein Virus ist eine Familie eine sich selbst erhaltende Lebensform. Niemand entkommt ihr.
Michaels Eltern sind vor vielen Jahren nach Coldhaven gekommen, um der Stadt zu entkommen und vielleicht so etwas wie einen Neuanfang zu wagen inmitten der Idylle. Seinen Vater, einen namhaften Fotografen, hat das Licht dieses Ortes regelrecht verzaubert, er hat Stunden und Tage damit verbracht, durch die Landschaft zu streifen und Vögel zu beobachten. Er wusste wirklich alles über sie. Es schien fast, als hätten die Familie ihr kleines, persönliches Paradies gefunden.
Die Bewohner des Dörfchens allerdings setzen alles daran, die Gardiners zu vertrieben: Drohanrufe in aller Herrgotsfrühe, nachbarschäftliche Schikanen am Gartenzaun und böse Blicke wurden bald fester Bestandteil des Alltags. Die Mutter war immer wieder mit den Nerven am Ende, den Vater hingegen ließ das alles kalt, jedenfalls nach außen hin. Und Michael - ja, Michael war damals noch ein Kind, zu jung, um die Ausmaße der Bösartigkeit zu begreifen.
Inzwischen sind Michaels Eltern tot, das Dorf hat sogar seine Mutter auf dem Gewissen. Michael wohnt mit seiner Frau im elterlichen Haus, fühlt sich trotzem allein oder gerade deshalb. Und eines Tages entdeckt er in der Zeitung einen kurzen Artikel, der vieles für ihn verändern soll: Er rollt seine Vergangenheit wieder auf, fördert ein dunkles Geheimnis zu Tage und lässt Michael auf eine Reise gehen, die dort enden wird, wo sie begonnen hat: In den Fußspuren des Teufels.
Das Licht. Das Meer. Der Wind. Sobald man aufhört zu suchen, gibt es nur noch die Gegenwart. Die Gegenwart dauert ewig.
John Burnside hat das, was sich viele Drehbuchautoren vergeblich wünschen: Ein Händchen für Veränderungen. Gekonnt versteht er es, Michaels Vergangenheit, seine Bewggründe und große Teile seines Innenlebns auf nur wenigen Seiten so detailliert auszuleuchten, dass man sich als Leser immer wieder wundert, woher man all diese Informationen hat. Der Autor verliert dabei zu keiner Zeit seinen roten Faden aus den Augen, die Episoden sind immer nur gerade so kurz, dass man sofort darauf wieder nahtlos in den Sog der eigentlichen Geschichte gezogen wird - und, ehrlich gesagt, die ist fast ein bisschen schwach. Gerade zum Ende hin verliert Burnsides Erzählfluss merkbar an Kraft; ich hätte mit Michael zusammen noch viele, viele Seiten lang in seinen Erinnerungen schwelgen können, ich hätte gern noch mehr erfahren über sein Leben, obwohl es genau betrachtet überhaupt nichts Besonderes gewesen zu sein scheint. Burnside aber ist ein so brillianter Erzähler, dass man sich von seinen Worten gar nicht mehr trennen mag. Ihm gelingt eine ausgewogene Mischung aus sowohl Melancholie als vollkommen nüchternem Realismus, das alles eingehüllt in eine Sprache, die fast immer herrlich romantisch ist, aber niemals auch nur annähernd kitschig.
John Burnside hat hier ein ganz großes Buch vorgelegt, das mir vermutlich noch einige Zeit in Erinnerung bleiben wird.

Die Spur des Teufels

256 Seiten, € 12,00, Taschenbuch
Penguin Books, ISBN 978-3328102625
aus dem Englischen von Bernhard Robben

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Rezensiert von Alexander Schau