Die erstaunliche Geschichte des Max Tivoli

Jeder von uns ist die Liebe im Leben eines anderen.
Ein Mann, der sein ganzes Leben dafür opfert, seine Jugendliebe nicht aus den Augen zu verlieren, ist nicht unbedingt etwas Neues. Dass er nicht nur einen einzigen Versuch unternimmt, sondern sogar gleich mehrere, auch nicht. Dass eben dieser Mann an seinem Lebensende alles aufschreibt und auf die jahrelange Suche nach der großen Liebe zurückblickt, kennen wir auch.
Das Interessante an der Geschichte sind nicht die Geschehnisse selbst, sondern die Hauptfigur: Max Tivoli wirkt nach außen hin wie ein normaler, gesunder Mann, ist aber alles andere als das. Er leidet an einer seltenen Krankheit, die ihn rückwärts altern lässt; er ist als Greis zur Welt gekommen und wirkt jetzt, zum Zeitpunkt der Aufzeichnungen, wie ein kleiner Junge.

Dass eine Kindheit unter solchen Voraussetzungen alles andere als einfach ist, liegt auf der Hand. Die Mutter fürchtet um den Ruf ihrer Familie und gibt ihren Sohn als entfernten Onkel aus, um ja kein Wort über dessen Erkrankung verlieren zu müssen. Wie es der Zufall will, verliebt sich Max - mit sechzehn, aber dem Äußeren nach bereits in den Vierzigern - in die junge Nachbarin, die - selbstverständlich - nichts von ihm wissen will, ganz im Gegensatz allerdings zu ihrer Mutter.
Einige Jahre später trifft Max erneut auf seine Jugendliebe, die ihn nicht wieder erkennt, und er nimmt eine andere Identität an, um sich in das Herz der Angebeteten zu schleichen und sie zur Frau zu nehmen.
Was geben wir für unseren Herzenswunsch nicht alles her? Und was werden wir?
Ja, wenn diese Frage so einfach zu beantworten wäre - was werden wir denn? Oder besser: Was wird Max (oder Asgar, wie er sich dann später nennt)? Anfänglich erinnert die Geschichte ein wenig an »Lolita«, zwar nicht in ihrer Perversität, aber in der Akribie, mit der Max seine angebetete Alice observiert. Max wird mehr und mehr zum Monster, das zwar nie offen operiert, aber im Geheimen dafür umso stärker seiner Leidenschaft nachgeht.

Leider ist das aber irgendwo zu wenig, denn Max' Krankheit bleibt relativ schnell auf der Strecke und wird, so scheint es, irgendwann nur dann noch aus der Versenkung geholt, wenn es der Handlung gerade zuträglich ist. Größtenteils fehlte mir die Kontinuität, denn letztlich unterscheidet sich diese Geschichte nicht auffallend von einer anderen x-beliebigen Liebelei, was rückblickend betrachtet wirklich schade ist, denn das nötige Potenzial hätte sie zweifelsohne gehabt.
»Es heißt immer, die größte Liebe aller Zeiten sei die zwischen Romeo und Julia gewesen. Ich weiß nicht. Rückblickend ist man mit vierzehn, mit siebzehn besessen.« Alice war jetzt erregt, ihr Gesicht glühte, ihre Hände gestikulierten in der blütenschweren Nacht. »Man denkt an niemand und nichts sonst, man isst nicht, schläft nicht, man kennt nur das Eine ... es ist überwältigend. Ich weiß das, ich erinnere mich. Aber ist das Liebe? Es ist wie der billige Weinbrand, den man in seiner Jugend trinkt und den man so fabelhaft findet, einfach weil man es nicht besser weiß, gar nichts weiß ... weil man noch nichts Besseres gekostet hat. Man ist vierzehn.«
Wenn man seine Erwartungen vielleicht ein klitzekleines Bisschen zurückschraubt und das Erstaunliche dieser Geschichte für sich ausblendet, ist dieses Buch aber dennoch lesenswert, nicht zuletzt auf Grund des Poetischen, das Greers Erzählstil innewohnt. Es geht eben um Liebe, aber nicht immer nur um das Positive, Fragen stellen sich einem beim Lesen in den Weg, und über diese kann man ganz wunderbar nachdenken.

Die erstaunliche Geschichte des Max Tivoli

352 Seiten, € 9,95, Taschenbuch
S. Fischer, ISBN 978-3596162451
aus dem Englischen von Uda Strätling

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Rezensiert von Alexander Schau