Die Krone des Schäfers

Es war ein Tag, an dem man sich wünschte, dass er nie vergeht. Als Tiffany Weh hoch oben in den Hügeln auf den elterlichen Hof hinunterblickte, war ihr, als könnte sie bis ans Ende der Welt sehen. Die Luft war kristallklar, und eine frische Brise wirbelte das tote Herbstlaub um die Stämme der Eschen, die mit den Ästen klapperten, um die letzten Blätter loszuwerden und für das Frühlingsgrün Platz zu schaffen.
Eine Warnung gleich vorab: »Die Krone des Schäfers« in Unkenntnis der vier anderen Tiffany-Weh-Romane, beginnend mit »Kleine freie Männer«, lesen zu wollen, dürfte in einem reichlich frustrierenden Unterfangen enden, da viele Informationen der Reihe mittlerweile einfach als bekannt vorausgesetzt werden. Außerdem sind besagte vier Vorgängerwerke sowieso in vollem Umfang empfehlenswert, warum also das Pferd von hinten aufzäumen? Doch nun endlich zur eigentlichen Besprechung:
Dieses Buch wird man mit hoher Wahrscheinlichkeit in dem Wissen aufschlagen, dass es das letzte Buch sein wird, das uns auf die so herrlich wunderliche Scheibenwelt entführen will. Was Terry Pratchett, der alte Fuchs, natürlich wusste, und so hat er sein finales Werk wohl nicht zufällig mit dem Tod einer seiner ältesten und wichtigsten Figuren beginnen lassen. Und nein, es ist nicht Rincewind. Überraschenderweise trifft es mal keinen Zauberer, sondern eine Hexe.
DENN ICH KANN SEHEN, OB DIE BILANZ AUSGEGLICHEN IST, UND DU HINTERLÄSST DIE WELT BESSER, ALS DU SIE VORGEFUNDEN HAST. WENN DU MICH FRAGST, sagt Tod, HÄTTE SICH KEINER WACKERER SCHLAGEN KÖNNEN… Die einzigen Orientierungspunkte waren die blauen Lichter, die in Tods Augenhöhlen glommen. »Auf jeden Fall hat sich die Reise gelohnt, und ich habe unterwegs viel Wunderbares gesehen, Euch eingeschlossen, mein zuverlässiger Freund. Wollen wir dann gehen?« MADAME, WIR SIND SCHON FORT.
Das große Thema zu Beginn der letzten Geschichte von der Scheibenwelt ist also Abschied. Wie herrlich gewieft von dir, Sir Terry! Und neben vielen, sehr schön gewordenen letzten Grüßen gibt es auch noch eine große Leerstelle, die gefüllt werden muss. Von der armen Tiffany Weh natürlich, die somit zur Hexe zweier Reviere wird. Was ihren vor vier Romanen begonnenen Coming-of-Age-Prozess zum passenden und verdienten Abschluss bringen wird.

Doch bevor es soweit ist, wird wohl oder übel noch etwas zusätzliche Handlung benötigt. Und so steht, angelockt durch das frische Machtvakuum, ein alter, nie so wirklich besiegter Feind vor der Tür. Wieder einmal, möchte man anmerken, und ja, durchaus in leicht enerviertem Tonfall: Die Elfen mal wieder, die schon die Hexen um Esme Wetterwachs bekämpfen durften und denen selbst Tiffany Weh schon in ihrem ersten Abenteuer entgegenstehen musste. Und das nun also ist der große Gegner für die Abschlussvorstellung der großen kleinen Hexe der Kreide? Nach den wundervoll ambivalenten wie bedrohlichen Gegnern in Tiffanys vorigen Abenteuern war es zwar klar, dass eine weitere Steigerung selbst für Sir Terry schwierig werden würde, aber ausgerechnet Elfen? Klar, sie sind immer noch ein Ausbund an Grausamkeit, aber so richtig charismatisch oder bedrohlich werden sie im ganzen Roman nicht. Was vor allem den finalen Showdown ziemlich langweilig und absehbar geraten lässt. Wirklich schade, da konnte Pratchett in früheren Romanen (und gerade auch in der Tiffany-Weh-Reihe) so viel besser punkten.
Aber gut, trotzdem ist »Die Krone des Schäfers« natürlich eine über fast die gesamte Lesedauer unterhaltsame Geschichte geworden, gut geschrieben sowieso, und – wenn auch mit deutlichen Abstrichen – ein würdiger Abschluss der ziemlich groß gewordenen Saga um diese flache Welt, getragen von vier Elefanten auf dem Rücken der Sternenschildkröte Groß A-Tuin.
Als sie sich einen warmen Umhang aus ihrem Zimmer holte, sah sie die im Mondlicht schimmernde Schäferkrone auf dem Regal liegen. Einer plötzlichen Eingebung folgend steckte Tiffany sie ein, und ihre Finger schlossen sich um den seltsam geformten kleinen Stein in ihrer Tasche. Während sie die fünf kleinen Erhebungen betastete, war es ihr, als ginge eine Kraft auf sie über. Der harte Feuerstein im Inneren des Gebildes erinnerte sie daran, wer sie war. Ich muss ein Stück vom Kreideland bei mir tragen, dachte sie. Mein Land macht mich stark, es hilft mir. Es sagt mir, wer ich bin. […] Ich bin Tiffany Weh, Hexe der Kreide. Und ich muss mein Land bei mir haben.

Die Krone des Schäfers

384 Seiten, € 17,99, broschiert / kartoniert
Manhattan, ISBN 978-3442547708
aus dem Englischen von Regina Rawlinson

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Rezensiert von Martin Katzorreck