Am kürzeren Ende der Sonnenallee

Es gibt im Leben zahllose Gelegenheiten, die eigene Adresse preiszugeben, und Michael Kuppisch, der in Berlin in der Sonnenallee wohnte, erlebte immer wieder, dass die SOnnenallee friedfertige, ja sogar sentimentale Regungen auszulösen vermochte.
Zu Mauerzeiten war die berühmt-berüchtigte »Sonnenallee« zwar auch schon ewig lang, aber trotzdem keine durchgängige Straße – der überwiegende Teil lag im Westen, die letzten sechzig Meter etwa im Osten. Dazwischen Grenzgebiet. Todesstreifen.
Brussigs Roman spielt – die Vermutung legt der Titel nahe – auf DDR-Seite, und im Kreise von Micha, Wuschel, Miriam, deren Freunden, Familien und anderen Gestalten aus der Nachbarschaft beschreibt der Berliner Autor den Alltag der kleinen Menschen, damals, im Osten. Er tut das echt einfach, das Buch ist wohl so eine Art Jugendbuch; alles ist irgendwie immer ganz witzig, manchmal auch ein bisschen ernster, tiefgründig aber dann doch nie.
Dabei gibt’s aber einige ganz liebenswerte Figuren wie zum Beispiel den Onkel Heinz »von drüben«, der jedes Mal, wenn er über die Grenze kommt, irgendeine Kleinigkeit für die Kuppischs mitbringt – natürlich völlig illegal, wie er denkt. Der Angstschweiß steht ihm immer wieder auf der Stirn. Dass man Smarties und Kaffee gar nicht schmuggeln müsste, will er irgendwie nicht so ganz wahrhaben.
Wenn du weißt, dass ich dich irgendwann küssen werde, wirst du nie traurig sein müssen. Wer so was sagt, der versteht was vom Warten, Sehnen und Hoffen – also dem, womit wir die meiste Zeit zubringen.
Als Jugendbuch mag der Roman vielleicht funktionieren, als älterer und in Sachen DDR und Ostalgie inzwischen bis zum Rand angefüllter Leser hatte ich irgendwann nur noch ein müdes Lächeln für die kleinen Episoden übrig, die in ihrer Gesamtheit nichts Halbes und nichts Ganzes erzählen und gerade zum Ende hin dann doch noch irgendwie den Handlungsbogen schließen wollen. Die meisten Mängel sind eigentlich nur Kleinigkeiten, aber eben von diesen gibt’s für meinen Geschmack einige zuviel. Die gesetzten Pointen und die Ost-West-Witze waren schon damals nicht mehr lustig und sind es heute erst recht nicht mehr. Daran ist auch nichts Charmantes oder Liebenswertes mehr; es ist genug.
»Am kürzeren Ende der Sonnenallee« sorgt für mäßige Kurzweil, wirft aber weiter auch keine Fragen auf. Meiner Meinung nach ein bisschen zu wenig.

Am kürzeren Ende der Sonnenallee

176 Seiten, € 11,00, gebunden
S. Fischer, ISBN 978-3596510986

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Rezensiert von Alexander Schau