Tirza

Jörgen Hofmeester steht in der Küche und schneidet Thunfisch für das Fest. In der Linken hält er den rohen Fisch. Er schwenkt das Messer, wie er es im Kurs "Sushi und Sadhimi selber machen" gelernt hat, den er vor fünf Jahren zusammen mit seiner Frau belegte. Nicht zu viel Druck ausüben, das ist das Geheimnis.
Jörgen Hofmeester, Ende 50 und Lektor, wohnt in einer der besten Gegenden Amsterdams, nennt ein großes Haus sowie eine nicht unerhebliche Menge Geldes sein eigen und geht vollkommen in seiner Vaterrolle auf. Seine jüngste Tochter Tirza nennt er seine Sonnenkönigin und bemüht sich verzweifelt ihr jeden Wunsch von den Augen abzulesen. In ihr sieht Hofmeester den Mittelpunkt seines Lebens, insbesondere, seit seine Frau ihn vor drei Jahren wegen eines anderen verlassen hat. Seiner älteren Tochter Ibi hat er sich vor Jahren entfremdet und klammert sich nun an das Einzige, was ihm noch geblieben ist oder es zumindest scheint.
Doch plötzlich, mitten in den Vorbereitungen für Tirzas Abiturparty, steht „die Ehefrau“, wie sie durchgehend benannt wird, wieder vor seiner Tür, stört die Harmonie zwischen Tochter und Vater und weigert sich beharrlich zu gehen. Mit ihrer Ankunft wird alles anders. Hofmeesters kaputte Ehe, das Familienleben, in dem er eine Witzfigur war, scheint mit der Frau zurückzukommen. Sie stichelt und verletzt, reizt Hofmeester bis zur Weißglut und führt ihm vor Augen, das er nichts weiter sei, als ein bemitleidenswerter alter Mann, der nichts mehr vom Leben zu erwarten hätte, sodass jede Konversation zwischen beiden einem Kampf bis aufs Blut gleicht.
“Was findest du eigentlich erregend? Ich bin's nicht. Das weiß ich. Das wußte ich schon lang. Gut, daß du das eben noch schnell mal gesagt hast. Besser alles rauslassen. Aus dem Herzen keine Mördergrube machen. Aber jetzt bin ich neugierig, was dich wirklich erregt. Irgendwas muß es doch sein. Manchmal hab ich mich gefragt, ob es vielleicht insgeheim Männer sind. Ich hab dich das nie gefragt, weil ich Angst hatte, dann würdest du ausflippen, daß dann gar nichts von dir übrigbleibt, noch weniger als jetzt. Ich hatte Angst, du würdest dich entlarvt fühlen, hilflos zusammenbrechen, zu Staub zerfallen. Aber jetzt, wo wir Freunde sind, einfach nur Freunde und nicht mehr, beste Freunde vielleicht, dachte ich: Ich kann doch mal fragen – sind es Männer, nach denen du dich sehnst? Junge Männer? Jungs? Blond, in engen Jeans? Oder eher indonesische Typen?“
Zu allem Überfluss legt ihm sein Verlag nahe, künftig zuhause zu bleiben und Tirza kündigt an, nach ihrem Abitur ein Jahr lang durch Afrika reisen zu wollen.
Hofmeester jedoch fällt es mehr als nur schwer sein Kind gehen zu lassen, das er so abgöttisch liebt, das ihm jedoch schon längst entglitten ist und gerät angesichts des Verfalls seiner mit Mühe aufrecht erhaltenen Welt zusehends ins Schlingern, versinkt in seinem eigenen Wahn, bis es kein Zurück mehr gibt.

In einer Sprache, die nicht poetisch, sondern eher funktional-schonungslos ist, oft auch durchsetzt mit umgangssprachlichen oder vulgären Ausdrücken, schafft Arnon Grünberg einen Charakter, der den Leser mit jeder weiteren Seite stärker anwidert und zugleich in seiner abnormen Entwicklung über die Maßen fasziniert. Dann und wann empfindet man Mitleid für Jörgen Hofmeester, das jedoch schnell durch Abneigung überwogen wird. Der Autor beschönigt nichts und zeigt ein bedrückendes Szenario in einer geradezu alltäglichen, aber nichts desto weniger erschreckenden Monstrosität, die dem Leser bisweilen ein flaues Gefühl in der Magengegend bescheren kann und ihm abschließend mehr als nur ein bloßes Beeindrucktsein hinterlässt.

Tirza

572 Seiten, € 11,90, broschiert / kartoniert
Diogenes, ISBN 978-3257239379

Rezensiert von Juliane Kopietz