Tag der geschlossenen Tür

Inmitten der Stadt liegt ein weites steinernes Feld. Der Boden ist geteert, an anderen Stellen gepflastert, Gullis und Laternen unterbrechen die ebene Fläche. Ein paar Autos parken dort und ein Laster. Eine Plastiktüte wird vom warmen Sommerwind über den Platz getrieben.
Eigentlich taugt dieser Einstieg nicht unbedingt zum Weiterlesen. Weiß man aber vorher, dass man wieder mit Michael Sonntag, dem Überflüssigsten aller Unflüssigen unterwegs ist, kann das verlockend sein. Eine klassische Fortsetzung, die Vorkenntnisse wünschenswert macht, ist es aber nicht. Gänzlich ohne Kenntnis der Figur hilft auch die Widmung: »Für alle schmutzigen Heiligen«.

Michael trottet diesmal vorwiegend durch Hamburg und seinen skurrilen Alltag, den er kreativ oder absurd gestaltet (Faschingskostüm: Zaubernazi mit Hakenkreuzchen auf dem Spitzhut), aber immer ohne erkennbare Ziele oder Pläne. Sicher ist nur, dass er sich gern lebendig fühlt, alles andere ist und bleibt offen. Warum das so ist, wird (wieder) nicht erklärt.
Geld verdient er mittels einer Kolumne in der schockierendes Nichts steht, schwärmen kann er für das Dienstlächeln der Handyverkäuferin, in ein Museum schleicht er sich als Wärter ein und ein bisschen Beef mit dem Nachbarn und andere Liebeleien gibt es auch. Die Stimmung schwankt dabei von lethargischem Einigeln über depressives Nichtstun bis hin zu ordentlich Party und wahnwitziger Geistesgegenwart.
Kleine schwarze Augen hat er bestimmt, Marko Fassberg, und Federn und dünne hornige Krallenhände. Und Körner pickt er, wenn er nicht telefonieren muss, und dann hockt er da und schaut mir schräg gelegtem Kopf das Telefon an und wartet. Wartet darauf, dass er endlich wieder seinen Satz sagen darf. Den Satz, den er im Leben am häufigsten gesagt hat, der Satz, der ihm am liebsten ist, weil er alles auf den Punkt bringt: MarkoFassbergamApparatwaskannichfürSietun?
Das Füllhorn des Aberwitzes beinhaltet auch, dass Sonntag ab und an Bücher, die er nie schreiben möchte als unfertiges Manuskript bei Verlagen einreicht, die sich im Buch alle vollständig abgedruckt finden. Der Leser darf sich also auf »Email für Emil« oder »Immer Ärger mit Herr Berger« freuen.
Schlussendlich führt das Buch aber tatsächlich diverse Fäden wieder zusammen und endet – titelgemäß – geschlossen.
Sie haben dort ein Feuerzeug in World-Trade-Center-Form. Wenn man auf einen Knopf drückt, kommt die Flamme aus dem Loch, das der einer der beiden Jets bei der Explosion gerissen hat. Was für Touristen sollen das denn kaufen? Taliban auf Alsterurlaub?
Ähnlich wie die Stimmungen der Hauptfigur ist Schamonis Roman faserig und durchwachsen. Es gibt brillante und poetische Passagen, z.B. wenn sich Sonntag fragt, wie viel schlechte Kunst produziert werden muss, bis ein Max Ernst darunter ist. Es gibt aber auch pubertäres Gedöns, teilweise geschmacklich fragwürdig geschrieben und so klingend, also müsste ein Roger Cicero es singen:
... bin einfach nur der Klebende. Der erhebende Klebende. Der die Farben Verwebende. Und dem Lichte Zustrebende. Sich der Ruhe Ergebende. Bald vor Schönheit Erbebende. Bin der ewig Klebende. Und der einzig Lebende.
Aber egal ob der Text gerade wundervoll oder albern ist, eines ist er nie - stringent. Manchmal schwankt die Qualität sogar innerhalb der Kapitel. Der Flow von Schamonis »Sternstunden der Bedeutungslosigkeit« ist definitiv weg, der Humor ist aber geblieben.

Das Lesen lohnt also trotzdem, wenn man lachen möchte, gelegentlich zustimmen, neue Ideen mag und das Selbst-Denken während der Lektüre, denn gerechtfertigt wird nicht. Das ist auch gut so, denn niemand will ...
Dem dunklen Fürsten der Sinnlosigkeit bereitwillig wie die Lemminge ins Maul springen.

Tag der geschlossenen Tür

261 Seiten, € 8,99, broschiert / kartoniert
Piper, ISBN 978 3492274722

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Rezensiert von Anna Gierden