Shadowboy

Das Wandelholz war ein besonderer Ort, der mit jeder Jahreszeit ein anderer zu werden schien. Und so wie der Wald sich selbst veränderte, so veränderte er auch die Menschen. Hieß es.
Extreme Skepsis beim beginnenden Hineinlesen: Der Titel lässt etwas wie einen Nachwuchs-Superhelden mit lichtabsorbierenden Kräften (gähn!) vermuten. Noch nie gehört, bei Potter reichte dafür ein Feuerzeug.
Der Untertitel führte in Unkenntnis von Klangstabil erst einmal zu Befürchtungen, dass ein vielleicht ideenreicher Dreiminuten-Song einer Band auf 166 Seiten dröge ausgewalzt wird.
Einmal in der Skepsis wohnend, wirkt die eingefügte erste Seite, ganz aus schwarzem Papier, extrem artsy, wie eine Reminiszenz an ein Vorsatzblatt.
Cover-und Rückengrafik erinnern an schlechte Filme mit Sandra Bullock.

Nur dank bestehendem Basisvertrauen in den Autor angefangen. Und weil in Zeile 7 ausgerechnet ein Dackel mit dem Namen des ewigen Wanderers auftaucht.

Das Buch spielt überwiegend in einem Wald, in dem sich Förster (dem der Dackel gehört), Spaziergänger, Bushaltestellenomis und Halbstarke aufhalten. Und plötzlich auch einer, der da gar nicht sein sollte.
Um über diesen mysteriösen Niemand mehr zu erfahren, wird die Gruppe der Waldbesucher langsam größer. Diese Besucher sammeln Erlebnisse wie Kastanien und lösen nebenbei Mobbing-Probleme, Familienprobleme und Modeprobleme.
… wie beide sich schließlich um acht ohne Murren die Zähne putzten und dann artig wieder in ihre Zimmer verschwanden, wunderte ihre Mutter nicht. Das lag vor allem daran, dass sie inzwischen vor dem großen Fernseher im Wohnzimmer saß […]. Und weil es im Fernsehen einfach viel zu viele Sendungen gab, erfuhr sie auch nie, was ihre Kinder in jener Nacht träumten.
Das Buch ist unaufgeregt, ein bisschen kühl, nicht laut, nicht voller Effekte und insofern dem Wald ähnlich. Manche inhaltlichen und sprachlichen Bilder sind richtig schön und bleiben lange bei einem.
Interessant sind verschiedene Perspektiven, denn es gibt keine feste Position für den Leser. Man schaut durch verschiedene Augen oder auch mal von oben auf alle drauf.
Man erfährt die ganze Handlung ohne Schnörkel, fühlt aber trotzdem zwischendurch mit einzelnen Figuren mit.
Hier ausgesprochen sei eine uneingeschränkte Empfehlung.
Da saßen sie. Auf den ausladenden blattlosen Ästen. Fast zwei Dutzend Kinder, allesamt in dunklen Kapuzenshirts, mit ausgerissenen fleckigen Hosen, die stumm auf die Gruppe herunter starrten. Ihr Anblick erinnerte an Krähen […].
Aber Eindruck schinden kann man mit dem (öffentlichen) Lesen des Buches nicht, es ist nur zum Sich-Selber-Freuen.
Warum? Das Sprechen über das Buch lässt einen beim Gegenüber merkwürdig erscheinen. Neben den eingangs erwähnten Bullock-Artsy-Superhelden-Auswalz-Momenten der Skepsis kommt noch dazu, dass die handlungsrelevante Gruppe aus Kindern besteht. Jeder denkt: Kinderbuch. Oder Jugendbuch. Oder neudeutsch: All-Age-Fantasy. Und weil es gar nicht kompliziert genug sein kann, ist es kein Kinderbuch, würde aber trotzdem auch für Kinder taugen.
Vorsichtig schob er sich von dem schlafenden Fuchs weg, erhob sich vom Bettgestell und ging zu dem schlafenden Zweibein hinüber.
Wenn nun ein Label herhalten soll, würde ein Verlag wie Heyne es vielleicht als »Öko-Roman« bezeichnen.
Und wenn man es in das Œuvre des Autors einordnen will, ist es ein Untypisches.

Es ist also völlig egal, wie man versucht zu sagen, dass das Buch sehr gut ist und die große Sehnsucht weckt wie einst Jules Verne. Der Gesprächspartner würde glauben, man läse einen Fanartikel zu Klangstabil, eine Episode TKKG im Wald, einen O-Bein-Roman für BioAktivistInnen oder ein amüsant-dunkeldüsteres Geschichtchen.

So unpassend die Verpackung der Geschichte also ist, das Vertrauen in den Autor hat sich doch gelohnt, Text, Handlung und Stil können still verzücken. Die Normalität des Ganzen überrascht positiv.

Es bleiben zwei Möglichkeiten, um nicht wie »Der Schwarm«-Leser angesehen zu werden: Entweder das ganze Buch nacherzählen und wirken lassen, oder genießen und sich im Stillen darüber freuen.

Shadowboy

166 Seiten, € 12,00, Taschenbuch
Uni-Edition, ISBN 978-3944072401

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Rezensiert von Anna Gierden