Schlaflos

von Jon Fosse
Asle und Alida gingen umher in den Straßen Bjørgvins, über der Schulter trug Asle zwei Bündel mit all ihrer Habe und in der Hand den Fiedelkasten mit der Fiedel
Der Norweger Jon Fosse ist vor allem für seine Theaterstücke bekannt: Diese Texte sind hochpoetische Konstrukte voll soghafter menschlicher Tiefe und gleichzeitig zerbrechlicher Einfachheit. Fosse bedient sich dabei einer Sprache, die böse Zungen gern auch als »plump«, »einfältig« oder schlicht »langweilig« verurteilen.
Die Stücke und Romane sind relativ handlungsarm, Großes ereignet sich in ihnen eigentlich nie. Vielmehr sind es vorsichtige Momentaufnahmen, Bilder von einfachen Menschen, die immer nah am Geschehen bleiben und sich nicht durch das laute Drumherum ablenken lassen.

Im Mittelpunkt seiner neuesten Erzählung steht ein junges Paar, das eines Tages sein Heimatdorf verlässt und mit einem gestohlenen Boot zur nächstgrößeren Stadt übersetzt. Asle hat vor Jahren seinen Vater verloren. Nun ist auch noch seine Mutter gestorben, und der Junge muss das Bootshaus, in dem sie zur Miete gewohnt hatten, verlassen. – Alida teilt ein ähnliches Schicksal, denn ihr Vater hat die Familie vor langer Zeit verlassen und ihre Mutter hat Alida noch nie leiden können und all ihre Liebe der Schwester zuteil werden lassen.
Nun ist Alida auch noch schwanger von Asle, und damit ist die Sache klar: Die Mutter will sie nicht mehr sehen, keine »Prostituierte« in ihrem Haus haben, die ein uneheliches Kind empfangen soll, und so machen sich die beiden auf, um ein neues Quartier und vielleicht auch Arbeit für Asle zu finden.
Ihre Suche in Bjørgvin gestaltet sich schwieriger, als sie gedacht hatten: Von Tür zu Tür irren sie im kalten Herbstregen, und niemand will ihnen Obdach bieten. Niemand will Alida zu sich nehmen, diese »Schlampe«. Die beiden schleppen sich mühsam vorwärts, sie verlieren sich dabei immer wieder in Erinnerungen an frühere, glücklichere Tage – und kurz vor der endgültigen Verzweiflung kommt der Punkt, an dem sie sich nicht mehr abweisen lassen: Sie dringen mit Gewalt in eines der Häuser ein und Alida bekommt ihr Kind.
Aber denk nur, sagt Alida
Ja, sagt Asle
Denk nur mal an, sagt Alida
und sie legt sich die andere Hand auf den Bauch
Ja denk an, sagt Asle
und dann lächeln sie einander zu und dann gehen sie, Hand in Hand, den Hang hinunter und dann sieht Alida Asle auf dem Dachboden in der Kammer stehen und er hat nasses Haar und in seinem Gesicht ist etwas wie Schmerz und er sieht müde und verloren aus
Wo bist du gewesen, sagt Alida
Nein nirgends, sagt Asle
So sehr ich Fosses Texte grundsätzlich auch schätze, weil er mit einer derartigen Leichtigkeit und ohne viele Worte schreibt – diese Erzählung ist, gemessen an seinen früheren Romanen, doch ein wenig banal. Das Jesus-und-Maria-Motiv, das er sich zur Vorlage nimmt, wirkt zu überhöht; der Holzhammer der Nächstenliebe schwebt lange Zeit über bedrohlich nah über der Szene, bis er schließlich niedersausen und der Odyssee der beiden ein jähes Ende bereiten darf. Es ist nur ein Gefühl, und ich kann es nicht begründen, aber: Das Ende fügt sich für mich nicht harmonisch genug ein. Irgendetwas stimmt da nicht, geht zu schnell.
Die Dialoge scheinen zwar an Intensität noch hinzugewonnen zu haben, scheinen noch schlichtere und poetischere Form angenommen zu haben, die Erläuterungen und Beschreibungen abseits dieser Gespräche aber leiern irgendwann sehr. – Das tut der berauschenden Stille, die diesem Buch anhaftet, keinen Abbruch; ganz überzeugen kann »Schlaflos« dann aber letztlich trotzdem nicht.

Schlaflos

von Jon Fosse
80 Seiten, € 7,95, broschiert / kartoniert
Rowohlt, ISBN 978-3499248078

→ Leseprobe
Rezensiert von Alexander Schau