Eine Verzweiflung

Der Garten, ganz ich. Man sagt zu mir, Sie haben einen guten Gärtner. Die Leute sagen zu mir, Sie haben einen guten Gärtner. Was für einen Gärtner? Einen Handlanger, einen Arbeiter. Einen Kerl, der ausführt.
Samuel ist 73 Jahre alt und zum zweiten Mal verheiratet. Er hat eine erwachsene Tochter (die ihn öfter mal besuchen kommt mit ihrem Mann, dem Apotheker) und einen Sohn (der ihn nie besuchen kommt, weil er sich in der Weltgeschichte herumtreibt und sein Leben genießt). Die Freiheit seines Sohnes widert Samuel regelrecht an: Er hat doch sein Leben lang gearbeitet! Er hat sich erfolgreich gegen die Verlockungen des Müßigganges gewehrt! Er hat jede einzelne Stunde seines Lebens sinnvoll genutzt und sie nicht mit Bananenpflücken irgendwo in Afrika verplempert!
Samuel ist jedenfalls der Meinung, dass sein Sohn das falsche Gleis erwischt hat. Und so hält er seinem Sohn, der weit weg ist und ihn nicht und niemals hören wird, eine Schmährede über alles, was ihm in den Sinn kommt. Er erzählt ihm von seinen Freunden, zieht über seine zweite Frau her und lässt überhaupt eigentlich an fast niemandem ein gutes Haar. Er ist sich seiner selbst ziemlich sicher, er gesteht sich sogar seine eigenen Schwächen ein. Und natürlich will er im Grunde nur eines: Seinen Sohn vor Fehlern und Enttäuschungen schützen und ihm ganz nebenbei noch das Leben erklären. Weil er die Weisheit ja mit Löffeln gefressen hat, der alte Knacker.
Darf ich Ihnen meinen Sohn vorstellen, aus der Clique der geköpften Blumen. Es wäre mir lieber gewesen, du wärst ein Verbrecher oder ein Terrorist geworden, als ein Aktivist des Glücks.
Dazu sei noch erwähnt, dass Samuel natürlich eines ganz besonders hasst: Das Glück, und am meisten natürlich das Glück der anderen. Er selbst hat nie danach gesucht, er war auch ohne Glück zufrieden.
Wir sind allein. Mein Kleiner. Von einer ungeheuren Einsamkeit. Einer totalen. Und es gibt so gut wie keine Verbindung von einer Einsamkeit zur andern. Die Einsamkeit ist lang. Kaum wahrnehmbar die Freuden, die uns verbinden.
Rezas Idee ist hübsch, die Umsetzung aber schlicht misslungen. Für eine richtig brodelnde Hasstirade braucht es eines von zwei Dingen oder besser noch beide: Einen unsagbar unsympathischen Protagonisten oder sprachliche Raffinesse, sprich Stil. »Eine Verzweiflung« hat weder das eine noch das andere zu bieten. Dazu ist der Ich-Erzähler zu schwächlich und die Sprache zu facettenlos.
Der Verlag selbst protzt im Klappentext ordentlich auf: »Ein Meisterwerk vom Niveau eines Thomas Bernhard.« heißt es da großspurig. Da frag ich mich doch, ob irgendjemand im Verlag Thomas Bernhard überhaupt schon mal gelesen hat. Im Gegensatz zu Frau Reza hat dessen Stil nämlich durchaus herrliche Schattierungen und leiert nicht im immerselben Tonfall langweilige Durchschnittstrivialitäten runter.

Dies ist Yasmina Rezas erster Roman. Gut, könnte man jetzt sagen, sie schreibt ja sonst auch nur Theaterstücke, da muss sie sich erst einmal zurechtfinden mit einem Roman. - Ja, das könnte man sicher sagen; nur sind ihre Theatertexte ja auch nicht besser. Da wird halt immer so viel gewollt und dann letztlich so wenig gekonnt. Kaum Abwechslung, immer dasselbe Schema F: Im Grunde ist die Gesellschaft böse und Yasmina Reza diejenige, die's uns endgültig beweisen will und wird, indem sie uns mitnimmt ins Innerste der kleinbürgerlichen Angepasstheit. Nett von Ihnen, Frau Reza. Aber das wussten wir auch schon vorher. »Eine Verzweiflung« ist nichts Halbes und nichts Ganzes, aber im Endeffekt dann auch einfach zu belanglos, um weiter drüber nachdenken zu wollen.

Eine Verzweiflung

144 Seiten, € 10,00, Taschenbuch
S. Fischer, ISBN 978-3596703135
aus dem Französischen von Eugen Helmlé

→ kaufen
Rezensiert von Alexander Schau