Ein feiner Herr und ein armer Hund

Der Hund hatte alles gesehen. Mit ihm muss die Geschichte anfangen. Wie er am Fenster tanzte und aus einem brennenden Haus sprang. Aber zuerst macht Herr Mulder einen Abendspaziergang. Der Polizei wird er einen anderen Namen nennen.
Herr Mulder ist distinguiert, wohlhabend, religionslos und tut beruflich eigentlich nichts, da er geerbt hat. Er ist Niederländer, lebt aber in Paris, weil es ihm so gefällt und hat dort seine feste Routine, wenn er spazieren geht und dabei dem Klackern seiner teuren Schuhe auf dem Pflaster zuhört. Im besten Restaurant der Stadt sitzt er immer unten, im „Paradis“, nicht oben in der „Hölle“, wo die Touristen essen und es gefällt ihm eigentlich ganz gut, so wie alles ist.

Als er eines Tages auf einem seiner Spaziergänge durch sein Viertel flaniert, wird er Zeuge eines Brandes, der in einem besetzten Haus voller illegaler Einwanderer wütet, von denen viele in den Flammen umkommen. Zwischen den gaffenden Menschen stehend, sieht er plötzlich wie ein Hund aus einem der Fenster springt und ihm direkt in die Arme. Der Schwanz des Tieres ist verbrannt, seine Pfoten versengt. Und es weicht ihm vorerst nicht mehr von der Seite. Was bleibt Mulder anderes übrig als sich seiner anzunehmen? Aus einer Laune heraus gibt er sich den Namen Nicolas Martin und versteckt sich damit hinter der Fassade eines Wohltäters, um sich selbst nicht genauer in Augenschein nehmen zu müssen. Plötzlich, aber, steht Mulder, als Anhängsel des Hundes, im Mittelpunkt des Interesses, wird von Leuten angesprochen, mit denen er nie etwas zu tun hatte oder haben wollte und kommt sowohl mit einem etwas unorthodoxen Pfarrer als auch mit der Polizei in Kontakt und immer wieder mit dem Elend der Illegalen.

Mit Migranten nach Paris gelangt, kennt der Hund dort jede verlorene Existenz, einen Chinesen, der kunstvolle Pappunterkünfte baut eingeschlossen, und zerrt den makellos sauberen Mulder quer durch die schmutzigsten und traurigsten Gegenden der französischen Hauptstadt.
Sie machten eine Runde durch das Viertel und blieben bei einem adretten Herrn stehen, der aus Müllsäcken aß, und bei einer Bettlerin, die geräuschvoll ihre abgeschnallte Beinprothese hochreckte. Er traute sich nicht, etwas hineinzuwerfen. Und vor den Parkgittern hielten sie bei einer Berberin, die ihm ungebeten ihre rechte Brust präsentierte. Ja, sie war schrecklich gestürzt, das Fleisch war ganz blau, das Hemd mit der Wunde verwachsen: Nein, er wollte ihre andere Brust nicht sehen. Aus Verlegenheit gab er ihr einen Euro.
Mulder sind all diese neuen Bekanntschaften, all diese Abgründe zunächst natürlich mehr als unangenehm, doch jeglicher Versuch den Hund von seinen Gewohnheiten abzubringen und in seine eigene, reinliche Welt einzufügen schlägt fehl. Nach und nach wird Mulder mürbe, ergibt sich seinem Gefährten und beginnt sich selbst aus der Distanz zu sehen, um sich letzten Endes selbst zu fügen.
Die Eisenplättchen unter Mulders Schuhen waren abgelaufen, aber ihm fehlte das eitle Klickklack keine Sekunde, er lauschte lieber den tickenden Krallen seines Hundes. Sie waren schon ziemlich viel herumgestreunt seit dem Brand, der Hund lebte nun einmal gern auf der Straße, und durch ihn wurde Mulder gezwungen ebenfalls ein Leben im Freien zu führen.
Adriaan van Dis lässt seinem Protagonisten das Gewissen und die Schuld direkt in die Arme springen, sodass sich Mulder scheinbar nicht selbst suchen muss, sondern gezogen wird, bis er genug Mut aufbringt, selbst teilzunehmen und aktiv zu werden. Dabei wählt der Autor seine Worte mit Bedacht, beschreibt feinfühlig, lakonisch und immer im richtigen Ton. Natürlich schlägt einem die Moral in diesem Buch von so mancher Seite entgegen, was beim gewählten Sujet nur natürlich ist, doch Van Dis lässt sie dem Leser in der passenden Lautstärke angedeihen, ohne ihn mit allzu oft gelesenen Allgemeinplätzen zu vergraulen. Insgesamt stellt „Ein feiner Herr und ein armer Hund“ zwar keinen Roman dar, der einen aus den Schuhen hebt, aber doch ein gelungenes Buch, von dem man sich gern für eine Weile mitnehmen und aufwecken lässt.

Ein feiner Herr und ein armer Hund

240 Seiten, € 19,90, gebunden
Hanser, ISBN 978-3446239449

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Rezensiert von Juliane Kopietz